Weihbischof Hrutsa: An der Front gibt es keinen Atheisten
Weihbischof Hrutsa: An der Front gibt es keinen Atheisten
Weihbischof Hrutsa aus Lemberg zur Rolle seiner Kirche im Krieg: Priorität hat die "Heilung der Wunden des Krieges"
Kurz nach Pfingsten haben wir im Wiener Redemptoristenkloster Bischof Volodymyr Hrutsa getroffen. Der 46-jährige Redemptorist ist seit 2016 Weihbischof der ukrainisch-griechisch-katholischen Erzeparchie Lviv (Lemberg).
Der seit 15 Monaten anhaltende Krieg hat auch in der Westukraine das Leben und damit die Anforderung an die Kirche und Seelsorger völlig verändert. „Zum Glück sind unsere Priester vor Ort geblieben“, so Hrutsa. Keine Selbstverständlichkeit, wenn man bedenkt, dass der Großteil des Klerus verheiratet ist. Wie die meisten Männer in der Ukraine haben auch die Priester ihre Familie, wenn irgendwie möglich, im Ausland in Sicherheit gebracht. Die Pfarren sind geistliche und humanitäre Hotspots vor allem für die zahlreichen Binnenflüchtlinge. Viele von ihnen sind Witwen mit kleinen Kindern, deren seelsorgliche und psychologische Betreuung längst zu einem zentralen Thema der Kirche in der Ukraine geworden ist. Der Großerzbischof und die Synode der griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine haben kürzlich unter dem Titel "Heilung der Wunden des Krieges“, ein Ausbildungsprogramm für Seelsorger vorgestellt, das darauf abzielt, den traumatisierten Opfern des Krieges professionell, pastoral und spirituell zu begleiten. Sehr häufig bestehe die Seelsorge aus „aufmerksamem Zuhören und wenig Worten“, betont Weihbischof Hrutsa. Großerzbischof Svjatoslav Shevtschuk spricht in einem Dokument sogar ausdrücklich von der Pflicht jedes Seelsorgers, „sich der notwendigen Ausbildung zu unterziehen, um die geistliche Vaterschaft, die Heilung der Wunden des Krieges, die das leidgeprüfte ukrainisches Volk heute von seiner Kirche braucht, effektiv, korrekt und erfolgreich durchzuführen zu können.“
Zugleich füllen sich seit dem Krieg die Kirchen wieder, nachdem auch in der Ukraine die COVID-19-Pandemie den Gottesdienstbesuch stark beeinträchtigt hatte. Er habe zu Beginn des Krieges befürchtet, dass die Frage, wie Gott das Übel des Krieges zulassen könne, die Menschen dem Glauben und der Kirche entfremden würde. Das Gegenteil sei der Fall. Die Nachfrage nach Gebet und Sakramente sei im Steigen begriffen. Gerade auch Soldaten an der Front hätten einen neuen Zugang zum Glauben bekommen und würden häufig davon berichten, wie sie die Kraft des Gebetes erfahren. „An der Front“, so Hrutsa „gibt es keinen Atheisten“. Alle empfänden es bereits als Wunder, dass die Ukraine noch immer bestehe. Zu Beginn des Krieges habe man ihr nur wenige Wochen erfolgreichen Widerstandes zugetraut. Nach 15 Monaten seien die Menschen zwar müde, erschöpft und ausgebrannt. Ans Aufgeben denke allerdings keiner. Auf die Frage, wo Gott in diesem Krieg sei, hat der Bischof eine zugleich klare wie überraschende Antwort: „Wir merken, dass Gott auf unserer Seite steht. Wenn z.B. in Mariupol, Butscha und rund im Kiyiv die Menschen brutal getötet und in Gräber geworfen werden, sind wir überzeugt, dass Jesus mit ihnen ins Grab geworfen wird. Unsere Überzeugung ist es, dass Jesus gerade dort auch auferstehen wird“
„Niemand ist verpflichtet, uns Ukrainern zu helfen“, so Bischof Hrutsa zum Abschluss. Wenn es eine Erwartung an den Westen, besonders an westliche Medien gebe, dann die, der Wahrheit die Ehre zu geben. Diese sei bekanntlich immer das erste Opfer des Krieges. Die Wahrheit, so der Bischof, sei, dass die Ukrainer nichts anderes wollten, als friedlich in ihrem Land zu leben und Russland seit 15 Monaten versucht, ihnen durch einen völlig ungerechtfertigten Angriffskrieg Identität und Existenzrecht abzuerkennen. Die Hoffnung, dass das - vielleicht sogar bald - zu Ende gehen kann, will der Bischof nicht aufgeben: „Für Gott ist nichts unmöglich.“
Volodymyr Hrutsa wurde 1976 in Dobromyl, Ukraine, geboren. Nach seinem Eintritt in den Orden der Redemptoristen absolvierte er eine theologische Ausbildung in Polen und Österreich. 2016 wurde seine Ernennung zum Weihbischof der Erzeparchie Lviv (Lemberg) von Papst Franzikus bestätigt. Neben seiner pastoralen Tätigkeit ist er auch als Autor und Professor tätig.