Den Horizont erweitern durch Weiterbildung – mehr sehen, einen Überblick bekommen.
Den Horizont erweitern durch Weiterbildung – mehr sehen, einen Überblick bekommen.
Zur Prävention von (sexualisierter) Gewalt. Martina Greiner-Lebenbauer im Gespräch.
Was gehört zu einer Kultur der konstruktiven Einmischung und Auseinandersetzung, einer Kultur des Hinschauens?
Greiner-Lebenbauer: In unseren Pfarren brauchen wir eine Gesprächskultur, in der es möglich ist, einander Rückmeldung zu geben und Konflikte konstruktiv auszutragen. Voraussetzung ist auch ein Grundwissen darüber, was in Ordnung ist und was nicht mehr in Ordnung ist in Bezug auf Nähe und Distanz und dem verantwortungsvollen Umgang mit Macht. Es ist nicht einfach, jemanden auf eine Handlungsweise, die man für grenzüberschreitend oder gewalttätig hält, anzusprechen. Dafür braucht es Mut und Zivilcourage.
Wie können die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sensibilisiert werden, um Übergriffe jeder Art zu verhindern?
Greiner-Lebenbauer: Es ist wichtig, dass sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Aus- und Weiterbildungen mit dem Thema regelmäßig beschäftigen. Ebenso braucht es eine ehrliche Reflexion des eigenen Handelns: Wie gehe ich mit anderen um? Wie rede ich mit anderen? Kann ich Kritik annehmen? Hilfreich ist, wenn ich meine Selbstwahrnehmung durch Rückmeldungen von anderen ergänzen lasse. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass eine Aufgabe – z. B. eine Gruppe zu leiten – immer mit Macht verbunden ist. Diese gilt es im Dienst an der Sache und der Verantwortung für die anvertrauten Menschen auszuüben und darf nicht missbraucht werden.
Warum ist es für Betroffene so schwer, etwas zu erzählen und warum ist es für das Umfeld schwierig, sexuellen Missbrauch zu erkennen?
Greiner-Lebenbauer: Betroffene schweigen aus vielfältigen Gründen. Sie haben Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird oder sie schämen sich, weil ihnen „so etwas“ passiert ist. Vom Täter/ von der Täterin werden sie zur Geheimhaltung gezwungen – oft unter Androhungen von Konsequenzen. Oft ist auch das Gefühl der Scham, des Versagt-Habens dabei („Ich hätte mich mehr wehren müssen“). Immer wieder übernehmen da Betroffene die Verantwortung und die Schuld für die Tat/en. Hier können wir nicht oft genug sagen: Du bist nicht schuld und verantwortlich!
Die Verantwortung liegt immer beim Täter bzw. bei der übergriffigen Person! Sexueller Missbrauch ist von außen sehr schwer zu erkennen. Der Missbrauch findet ja meistens in vertrauensvollen Beziehungen und im Geheimen statt. Manchmal ist es auch so, dass Betroffene in einem Umfeld leben, das den Missbrauch nicht wahrhaben und daher auch nicht sehen will.
Eine Schwierigkeit besteht sicher darin, Sexualität besprechbar zu machen. Wie agieren wir da richtig?
Greiner-Lebenbauer: Wir müssen uns bewusst sein, dass wir Menschen von Anfang an sexuelle Wesen sind und so Sexualität in allen unseren Beziehungen mit dabei ist. Sexualität darf nicht auf die Genitalien reduziert werden, sondern ist umfassend zu verstehen.
Sexualität ist eine Lebensenergie, die sich z. B. in körperlich-seelischer Lust, in Wohlbefinden und Zärtlichkeit ausdrückt. Wir Erwachsene tragen die Verantwortung, auf das passende Nähe-Distanz Verhältnis zu achten und das Nein der Kinder wahrzunehmen und zu respektieren. Bei Kitzelspielen liegt es an uns, zu stoppen, wenn das Kind signalisiert, dass das jetzt nicht mehr wohlig-lustig-angenehm ist.
Darüber miteinander reden zu lernen, was angenehm ist und was nicht, ist in all unseren Beziehungen wichtig. Zu unserer Verantwortung gehört auch, dass Kinder aufgeklärt werden, wie ihre Geschlechtsteile heißen und welche Begriffe dafür auch umgangssprachlich verwendet werden, mit dem Ziel, dass sie darüber reden können.
Interview: Stefan Kronthaler
Mag. Martina Greiner-Lebenbauer leitet seit 2012 die „Stabsstelle für Missbrauchs- und Gewaltprävention, Kinder- und Jugendschutz“ (Stephansplatz 6/6/618a, 0664/51552-43).