Mit der Erinnerungen ist nicht immer einfach. Manches bleibt hängen, begleitet uns unser Leben lang. Anderes verschwindet. Wovon hängt es überhaupt ab, ob wir uns an ein Ereignis erinnern, oder eben nicht?
Mit der Erinnerungen ist nicht immer einfach. Manches bleibt hängen, begleitet uns unser Leben lang. Anderes verschwindet. Wovon hängt es überhaupt ab, ob wir uns an ein Ereignis erinnern, oder eben nicht?
Wie wichtig ist es, sich zu erinnern? Wovon hängt es ab, woran wir uns erinnern? Und: Helfen Facebook, Whatsapp und Co. uns dabei,Ereignisse im Gedächtnis zubehalten?
Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, kommt mir zu allererst das Bild eines gelben Hauses in den Kopf, daneben ein Garten mit einer Schaukel. Auf der Schaukel ich – in einem roten Kleid mit weißen Blümchen. Es ist heiß dort, wo ich bin, die Sonne scheint und ich bin zufrieden und glücklich. Mehr gibt sie nicht her, meine erste Kindheitserinnerung.
Erst nach Rücksprache mit meinen Eltern konkretisiert sich einiges: Das gelbe Haus ist eine Frühstückspension, in der wir unseren Urlaub am Klopeinersee in Kärnten verbracht haben, als ich etwa 3 Jahre alt war.
Der Garten war mehr eine Wiese hinter der Frühstückspension. Aber die Schaukel gab es tatsächlich und ich bin gerne und ewig lange darauf gesessen und habe geschaukelt oder habe mich antauchen lassen. Ach ja und das Kleid – das war mein Lieblingskleid.
Heute, 38 Jahre später, stelle ich fest, das mit der Erinnerungen ist nicht immer einfach. Manches bleibt hängen, begleitet uns unser Leben lang. Anderes verschwindet.
Manches Verschwinden wird bemerkt, manches bleibt unbemerkt. Aber warum ist das so? Warum bleibt uns eine Erinnerung und verlässt uns eine andere?
Wovon hängt es überhaupt ab, ob wir uns an ein Ereignis erinnern, oder eben nicht?
Und warum erinnern wir uns am besten an das, was uns unangenehm war, was uns bedroht hat?
Diese Fragen stellen wir im SONNTAG kurz vor Allerheiligen, jenem Fest, das nicht nur mit Trauer, sondern in einzigartiger Art und Weise mit Gedenken und Erinnerung zu tun hat.
„Das Erinnern dessen was war, ist ein unverzichtbarer Teil der Person, es ist ein Teil unseres Selbst“, sagt Neurowissenschaftler, Arzt und Psychotherapeut Dr. Joachim Bauer: „Wer seine Vergangenheit nicht kennt, hat sich selbst sozusagen verloren.
Um zu wissen wer wir sind, müssen wir wissen, woher wir kommen.“
DER SONNTAG: Ändern sich unsere Erinnerungen aber nicht im Laufe unseres Lebens?
Dr. Joachim Bauer: Unsere Erinnerungen unterliegen–, genauso wie auch das, was wir unser Selbst nennen – einer ständigen Veränderung.
Wir bauen unsere Erinnerungen – ohne dass wir das bewusst merken – ständig ein wenig um. Manche Erinnerungen werden beschönigt, manche werden verschlimmert. Manche Erinnerungen fallen irgendwann ganz weg und werden gelöscht.
Es kann aber auch vorkommen, dass wir plötzlich etwas in unsere Erinnerung aufnehmen, was wir gar nicht erlebt haben.
Wovon hängt es ab, ob wir uns an ein Ereignis erinnern oder eben nicht?
Dr. Joachim Bauer: Die Gedächtnis-Systeme unseres Gehirns arbeiten ökonomisch, sie versuchen sich keine unnötige Arbeit zu machen.
Häufig vorkommende Alltags-Ereignisse, die keine großen Folgen nach sich ziehen, werden nur kurz oder gar nicht in unserem Gedächtnis abgespeichert, sondern rasch oder sofort entsorgt.
Ereignisse, die langfristige Folgen nach sich ziehen und unser Leben über längere Zeit bestimmen, bleiben hingegen haften: Der Tod einer geliebten Großmutter, der Tag einer bestandenen Prüfung oder der Hochzeitstag.
Am tiefsten aber graben sich Ereignisse ins Gedächtnis ein, die uns bedroht haben.
Warum ist das so? Was „bringen“ uns negative Erinnerungen?
Dr. Joachim Bauer: Das wichtigste im Leben ist, zu überleben. Daher hat die Evolution unser Gehirn so organisiert, dass wir auf Bedrohungen besonders achten und uns an bedrohliche Situationen besonders gut erinnern.
Der Sinn liegt darin, dass wir für Bedrohungen, die wir in der Zukunft erleben, besser gewappnet sind, indem wir von früheren Bedrohungslagen gelernt haben.
Wenn wir uns am besten das merken, was uns bedroht hat, warum sind wir dann nicht permanent todtraurig?
Dr. Joachim Bauer: Zum Überlebensprinzip gehört, durch die negativen Ereignisse unseres Lebens nicht in einen Zustand der totalen Verzweiflung oder Apathie zu verfallen. Daher steht jedem Menschen eine innere Kraft zur Verfügung, die uns in die Lage versetzt, Unangenehmes zu verdrängen.
Gesunde Menschen können in einem mittleren Maße gut verdrängen. Wer aber zu gut verdrängt, wird leichtsinnig und wird dann leicht zum Opfer.
Wer nicht mehr verdrängen kann, weil er –oder sie- zu viel Schlimmes erlebt hat, der wird krank. Beispiele für Letzteres sind Menschen mit einer Depression oder einer posttraumatische Belastungsstörung.
Können wir Menschen steuern, woran wir uns erinnern?
Dr. Joachim Bauer: Nein. Die Möglichkeiten, das Gedächtnis zu trainieren, sind sehr begrenzt. Alles was man tun kann, ist Dinge zu vermeiden, die das Gedächtnis schädigen: Stress, ständige Hektik und zu viel Alkohol.
Neue Technologien und Medien werden heute intensiv genutzt: Fotos werden auf Facebook gepostet, via whatsapp verschickt. Hilft uns dieses Verhalten, uns zu erinnern?
Dr. Joachim Bauer: Ich zweifle ob die Möglichkeiten, die wir heute haben, nämlich überall massenhaft Fotos zu machen oder kleine Filme zu schießen, wirklich unser Gedächtnis verbessern.
Eher das Gegenteil ist der Fall. Studien zeigen, dass man sich selbst an Ereignisse nicht mehr so gut erinnern kann, wenn man sie auf einem Träger, zB. auf einem Handy abgespeichert hat. Denn dann verlässt sich das Gedächtnis darauf, dass es jetzt ja woanders gespeichert ist.
Am meisten erinnern wir uns, wenn wir eine Situation bewusst, also voll und ganz im Hier und Jetzt, und das heißt mit Achtsamkeit wahrnehmen. Das permanente „Foto-Machen“ stört diesen Prozess.
Was würde mit uns passieren, wenn wir gar nichts mehr vergessen würden, uns an alles erinnern? Ist es erstrebenswert ein so gutes Gedächtnis zu haben?
Dr. Joachim Bauer: Wenn wir nichts vergessen würden, würden wir verrückt werden. Vergessen-Können ist ein Segen.
Dr. Joachim Bauer
Neurowissenschaftler, Arzt und Psychotherapeut
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