Rainald Tippow wurde mit 1. September 2015 zum Flüchtlingskoordinator der Erzdiözese Wien bestellt. Er betont, nur ein Prozent der weltweiten Flüchtlinge komme nach Europa: "Unser Boot ist nicht voll."
Rainald Tippow wurde mit 1. September 2015 zum Flüchtlingskoordinator der Erzdiözese Wien bestellt. Er betont, nur ein Prozent der weltweiten Flüchtlinge komme nach Europa: "Unser Boot ist nicht voll."
Rainald Tippow wurde mit 1. September 2015 zum Flüchtlingskoordinator der Erzdiözese Wien bestellt. Bisher leitete er die Pfarrcaritas der Erzdiözese Wien und bringt viel Know-how für die Hilfe für benachteiligte Menschen mit.
Im Gespräch mit erzdiözese-wien.at schildert der Flüchtlingskoordinator der Erzdiözese Wien, Rainald Tippow, seine ersten Vorhaben in der Flüchtlingshilfe und wie die Menschen in den Pfarren das ihrige dazu leisten können.
erzdiözese-wien.at: Rainald Tippow, welcher Aufgabenbereich erwartet Sie in ihrer Funktion als Flüchtlingskoordinator in der Erzdiözese Wien?
Rainald Tippow: Es geht primär um die Schaffung von Wohnraum für mindestens 1.000 Flüchtlinge über das kirchliche Netz. Dann geht es um den Aufbau einer Struktur für Pfarren, Orden und Gemeinschaften, die sagen: ‚Wir überlegen Flüchtlinge unterzubringen‘. Es geht um das Begleiten in der Konkretisierung und in der Umsetzung. Dabei ist das ernst zu nehmen, was Pfarren schon machen, wir haben hunderte Pfarren in Österreich, die bereits jetzt tausende Menschen unterbringen. Das Ziel ist jedoch, dass es in unserer Diözese keine Pfarre und keine pastorale Einheit gibt, die sagt, das Thema geht mich nichts an. Wir haben einen ganz klaren Auftrag, uns um Menschen zu kümmern, die am Rand der Gesellschaft stehen, und diesen Auftrag müssen wir als Kirche wahrnehmen.
erzdiözese-wien.at: Das heißt, es ist die Flüchtlingsunterbringung und -betreuung sehr wichtig. Außerdem geht es um Hilfe für Pfarren, die Probleme mit der Unterbringung von Flüchtlingen haben. Welche Möglichkeiten gibt es dafür?
Rainald Tippow: Ja, es wird Pfarren geben, die sagen, sie hätten einen Pfarrhof, der leer steht. Und es wird viele Pfarren geben, die sagen, sie hätten keinen Pfarrhof, der leer steht, oder er sei seit dreißig Jahren leer und unbewohnbar. Diese Pfarren könnten schauen, ob sie in ihrem Umfeld Wohnungen haben, die sie anmieten könnten. Unsere Pfarren sind ja – und das ist der ganz große Vorteil der Kirche – vernetzt. Die Menschen wissen vor Ort, wo es Wohnungen gibt. Ich kenne das aus eigener Erfahrung.
Ich bin Mitglied einer ehrenamtlichen Gruppe „Willkommen Mensch“ in meiner Pfarre, in der wir das auch gemacht haben. Wir haben Wohnungen angemietet und dort Flüchtlinge untergebracht.
Es geht aber auch um Pfarren, die weder die eine noch die andere Möglichkeit haben. Welche Optionen haben sie? Gerade diese sozialen, karitativen Projekte der Nächstenliebe bieten viele Möglichkeiten, wie man sich als Pfarre engagieren kann.
Vielleicht gibt es eine pensionierte Lehrerin im Pfarrgemeinderat, die sagt, ich kann mir vorstellen, Deutschunterricht zu geben. Vielleicht gibt es Menschen, die sagen, sie könnten zwar niemanden unterbringen, aber sie wären bereit, sich bei Integrationsmaßnahmen einzubringen. Vielleicht gibt es einen örtlichen Fußballverein, eine Pfarrfußballmannschaft, die sagt, die Flüchtlingskinder könnten mitspielen.
Es geht darum, Menschen, die Fürchterliches erlebt haben, in unserem Land willkommen zu heißen. Ihnen durchaus eine dauerhafte Perspektiven geben. Wir leben in einer Zeit, in der wir ganz scharfen Wind aus der Politik erleben, viele Aspekte von Unfähigkeit und Untätigkeit, sehr viel Zynismus. Es ist wichtig, dass hier die Kirche und die Zivilgesellschaft ein klares Wort spricht und sagt: Nein, es ist uns nicht egal, wenn Menschen auf der Flucht sind. Da müssen wir etwas tun, die Haltung 'offene Hand statt geballter Faust' einnehmen.
erzdiözese-wien.at: Es gab diese Woche die Ankündigung, dass auch am Stephansplatz Flüchtlingsfamilien einziehen werden, beziehungsweise Platz für Flüchtlinge geschaffen wird. Wie weit ist dies schon gediehen?
Rainald Tippow: Es gibt den ganz klaren Wunsch von Kardinal Christoph Schönborn, in den Räumlichkeiten, auf die er hier am Stephansplatz unmittelbar Zugriff hat, Flüchtlinge unterzubringen. Das Ganze ist in einer bautechnischen Umsetzungsphase und soll in den nächsten Wochen realisiert werden. Damit möchte Kardinal Schönborn ein ganz klares Zeichen setzen. Die Wohnungen hier am Stephansplatz sind ja nicht frei – es geht also um die Schaffung von zusätzlichem Wohnraum für Flüchtlinge.
erzdiözese-wien.at: Wenn jetzt Pfarren Informationen und Unterstützung benötigen, wie sie mit dem Thema Flüchtlinge umgehen sollen und auch bereit sind, welche aufzunehmen – woher bekommen sie diese?
Rainald Tippow: Die Informationen für die Pfarren erfolgen einerseits über ein Schreiben der Bischofsvikare, das in den nächsten Tagen an alle Pfarren gehen wird. Es hat bereits zu Beginn des Sommers eine Erhebung der Wohnraumsituation gegeben, an der sich mehr als 200 Pfarren beteiligt haben. Woran wir arbeiten ist, dass die Pfarren von uns ganz klare Antworten bekommen, welche Arten von Wohnraum gesucht werden, für Menschen in welchen Rechtsverhältnissen? Und trotz allem muss man sagen – wir versuchen das klar zu strukturieren – momentan haben wir einfach eine chaotische Situation. Es liegen noch immer Hunderte Menschen im Freien in Traiskirchen. Unsere Grundversorgungseinrichtungen sind übervoll. Viele haben die Bilder von den Bahnhöfen in Budapest und dem Westbahnhof in Wien gesehen. Wir haben momentan eine Situation, die unwürdig ist, für eines der reichsten Länder der Erde.
Und wir haben – zum Glück – viele Angebote von Pfarren, viele Angebote von Privatpersonen. So viele Angebote etwa im Sachspendenbereich, dass wir sagen müssen: 'Bitte bringen Sie jetzt nichts mehr, die Lager sind übervoll.' Das ist ein wunderbares Zeichen der Solidarität. Diese Solidarenergie umzuleiten in dauerhafte Unterbringung von Flüchtlingen, das ist unser Ziel für den Herbst.
erzdiözese-wien.at: Wie geht es Ihnen persönlich mit den Schicksalen von geflüchteten Menschen und der Herausforderung, viel für diese zu organisieren?
Rainald Tippow: Ich denke, da ist das Beispiel des barmherzigen Samariters ein gutes. Der barmherzige Samariter tut das, was er tun kann, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und ich denke, sich von der Not anrühren zu lassen und zu handeln, aber zugleich zu sagen, ich habe auch noch mein Leben weiterzuführen, das ist notwendig. Großartig wäre es, wenn wir alle Franz von Assisis und Elisabeths von Thüringen wären. Diese Heiligenformate haben wir nicht und sind wir nicht. Wir haben unsere Talente und ich glaube, dass es gerade in der Hilfe sehr wichtig ist, die eigenen Kräfte auch abzuschätzen und sich dann auch abzugrenzen.
Die erschütternden Erlebnisse, wenn ein Vater von der Polizei zurückgehalten wird und dann dem Zug nachläuft und ihn nicht mehr erreicht, in dem seine Familie sitzt, oder Kinder, die auf der Flucht sterben, sind fürchterlich. Auch die unmenschliche Tat von vergangener Woche auf der Ostautobahn lässt einen fassungslos zurück: Wie kann man Menschen ersticken lassen? Hier sind menschliche Abgründe, bei denen wir umso mehr sagen müssen, wir dürfen das nicht zulassen. Wir dürfen nicht zulassen, dass bei einem relativ leichten sozialen Gegenwind die humanistischen und mehr noch die christlichen Werte geopfert werden.
Das müssen wir bei aller Problematik auch sehen: 99 Prozent der weltweiten Flüchtlinge sind in Dritte-Welt-Ländern und nur ein Prozent kommt derzeit nach Europa. Dieses eine Prozent ist zugleich nicht einmal ein Promille der europäischen Bevölkerung. Eine gerechte Aufteilung bedeutet, dass pro tausend Einwohner ein Flüchtling kommt. Das heißt, unser Boot ist nicht voll. Wer das Gegenteil behauptet, ist ein Zyniker.
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