„Es gab damals einen Aufruf der Erzdiözese Wien und der Stadtgemeinde, dass Pfarren Flüchtlinge aufnehmen sollen“
„Es gab damals einen Aufruf der Erzdiözese Wien und der Stadtgemeinde, dass Pfarren Flüchtlinge aufnehmen sollen“
Die kriegerische Auseinandersetzung nach dem Zerfall Jugoslawiens trieb viele Menschen in die Flucht. Mitarbeiter der Pfarre Penzing St. Jakob nahmen seinerzeit bosnische Flüchtlinge auf. Der SONNTAG hat eines der ehemaligen Flüchtlingskinder getroffen und zeigt, wie erfolgreiche Integration gelingen kann.
Wir wollten kurz Urlaub in Wien machen, bis sich die Lage beruhigen würde“, erinnert sich Belma Hodzic an den April 1992.
Ihre Mutter Senija und die Schwestern Belma, Selma und Elma lebten in Visoko, 25 Kilometer nordwestlich der bosnischen Haupstadt Sarajevo, der Vater starb bei einem Autounfall. – Heute ist sie österreichische Staatsbürgerin, verheiratet, zweifache Mutter und arbeitet beim Jugendrotkreuz.
„Vor dem kriegerischen Konflikt haben wir mit Serben und Kroaten gut zusammengelebt, aber dann wurde die Lage immer schwieriger“, erinnert sich Belma.
„So entschieden wir uns dafür, für einige Zeit die Heimat zu verlassen. Mit einem der letzten Busse, die aus Zentralbosnien rauskamen, ging es nach Wien.“ Die erste
Nacht verbrachte die Familie beim Mann einer Bekannten der Mutter.
Dann mieteten sie für wenige Tage ein Zimmer, doch bald wurde klar, man benötigt für längere Zeit eine Bleibe.
Mutter Senija ging zur Flüchtlingshilfe der Caritas und schilderte die Bedürfnisse. Zwei Tage später erfuhr sie, dass die Pfarre Penzing St. Jakob bereit sei, sie und ihre Töchter aufzunehmen.
„Wir haben gesagt, wir fahren in eine Kirche und schauen uns das an“, erzählt Belma heute. In Bosnien hatte die muslimische Familie auch gute Kontakte zu römisch-katholischen wie auch orthodoxen Gläubigen.
Es ist dann nicht eine Kirche, sondern das Pfarrheim Penzing: „Unser Zimmer war im ersten Stock, große Fenster, Vorhänge und ein großes Kreuz, das uns ein wenig Angst machte“, weiß Belma, „aber wir waren einfach froh, das wir wo angekommen sind“.
„Es gab damals einen Aufruf der Erzdiözese Wien und der Stadtgemeinde, dass Pfarren Flüchtlinge aufnehmen sollen“, erinnert sich Ursula Tuch aus der Pfarre Penzing.
Die Sozialarbeiterin und mehrere freiwillige Mitarbeiter rund um Pfarrer Johannes Buse waren sich einig, da galt es sich zu engagieren. „Wir haben gesagt, wir müssen das so gestalten, dass sich die Menschen hier auch zu Hause fühlen können, es darf keine Lageratmosphäre haben.“
Betten stellte die Gemeinde Wien zur Verfügung. Es dauerte nicht lange, und weitere Familien kamen in die Pfarre.
„Es wurde eine Trennplatte im Raum eingezogen, damit möglichst viele hier Unterkunft haben“, schildert Belma Hodzic.
Sie war damals 14 Jahre alt, ihre Schwestern elf und sieben. „Uns hat es an nichts gemangelt, immer wieder sind Menschen aus der Pfarre gekommen, die gefragt haben, ob und was wir benötigen. Die Hilfsbereitschaft war enorm“, freut sie sich auch heute, 23 Jahre später, darüber.
Eine der hilfsbereiten Pfarrmitarbeiterinnen ist Maria Sezepsi: „Es war zu Beginn gar nicht leicht, sich auszutauschen. Wir haben mit ‚Händen und Füßen‘ geredet und ein paar Bekannte, die Serbokroatisch konnten, haben uns auch unterstützt.“
Belma und ihre Schwester trugen ständig das Wörterbuch mit sich, um schnell Begriffe zu lernen und ihre Bedürfnisse zu artikulieren.
Bis zu 39 bosnische Flüchtlinge fanden damals im Pfarrheim Penzing St. Jakob Unterkunft. Die Mitarbeiterinnen der Pfarre kümmerten sich auch um Kindergarten und Schulplätze für die Kinder. „Wir haben uns selbst mit den Schulen in Verbindung gesetzt und gefragt, ob es Plätze gibt“, berichtet Maria Szepesi.
Belma und ihre Schwester Elma bekamen nach einem kurzen Aufenthalt in einer öffentlichen Schule einen Platz im Gymnasium „Maria Regina“ der Schwestern vom Armen Kinde Jesu.
Ursula Tuch engagierte sich in der Lernhilfe. Damals hatten alle beim Englischkapitel ‚the hippopotamus and the elefant‘ große Probleme. Doch mit ihrer Hilfe bewältigten sie diese, erinnert sich Tuch.
Die Helferinnen gingen mit den Kindern auch ins Schönbrunnerbad, später sogar ins Theater.
Auch ins Pfarrleben wurden die bosnischen Flüchtlinge damals mit einbezogen. „Wir waren bei den Gruppenstunden der Jungschar dabei und wir haben auch die katholischen Feiertage mitgefeiert“, schildert Belma und unterstreicht: „Wir als Familie haben sowohl aus der einen als auch der anderen Religion das mitgenommen, was schön ist. Das möchte ich nicht missen.“
Ursula Tuch ergänzt: „Es sind alle bosnischen Kinder in die Jungscharstunden gegangen. Wir hatten im Winter 14 Sternsingergruppen, weil auch zwölf bosnische Kinder dabei waren. Das ist sehr gut in der Bevölkerung angekommen, es waren wirklich ,Könige aus dem Morgenland‘“. Und auch die Katholiken feierten muslimische Feiertage mit.
Rund 25 Leute bemühten sich damals in der Pfarre Penzing St. Jakob ständig um die bosnischen Flüchtlinge. Dabei ging es auch um Familienzusammenführungen.
Maria Szepesi hielt Kontakt mit dem Suchdienst des Roten Kreuzes: „Wenn wir Nachricht bekommen haben, dass ein Vater in einem Flüchtlingslager in Ungarn ist, bin ich mit meinem Mann hingefahren und wir haben ihn hergeholt.
Das Wiedersehen nach Monaten war stets sehr emotional“, sind ihr diese bewegenden Momente in Erinnerung geblieben.
Ursula Tuch und Maria Szepesi kümmerten sich in der Folge auch um Arbeitsplätze für die Bosnier: „Wir haben für einen der Flüchtlinge drei Firmen gefunden, die ihn anstellen wollten, weil er sehr geschickt war.
Doch auf den Antrag um Arbeitsbewilligung erhielten wir einen ablehnenden Bescheid. Immer wieder haben wir dagegen berufen. Zwei Tage vor Weihnachten kam dann die Arbeitsbewilligung, das war damals ein großes Fest.“
Damit die Flüchtlinge ihre dauerhafte Lebensperspektive in Wien auch quartiermäßig in den Blick nehmen können, kümmerten sich die Pfarrmitglieder auch um Wohnraum abseits des Pfarrheims.
„Die Caritas hatte damals schon Prekariumswohnungen, um die wir uns für die Flüchtlinge beworben haben “, so Ursula Tuch. Nach zweieinhalb Jahren hatten alle Erwachsenen eine Wohnung und einen Job.
Belma maturierte später in Maria Regina, lernte hier ihren Mann Sabko kennen, der ebenfalls aus Bosnien flüchtete und ist heute zweifache Mutter. Ihre Mutter lebt in Wien und arbeitet bei der Caritas, eine der Schwestern kehrte nach Bosnien zurück.
Zu den aktuellen Flüchtlingsströmen betont Belma: „Es ist einfach der Wunsch nach Sicherheit da, und dieser Wunsch sollte jedem Menschen erfüllt werden, weil es ein Grundbedürfnis ist.“
Belma und ihre Familie halten auch heute noch Kontakt zu den meisten der damaligen Flüchtlinge, die in Penzing St. Jakob jahrelang betreut wurden, sowie mit den Helfern der Pfarre.
Dass diese sich auch in der aktuellen Flüchtlingssituation wieder engagieren, sei abschließend angemerkt.
Eigentlich wollten sie vor 23 Jahren nur kurz Urlaub in Wien machen, bis sich die Lage beruhigt hat, erinnert sich Belma (rechts oben).
Belma Hodzic (im Bild links Mitte) und ihre Schwestern (oben mit einer Cousine) sind heute selbstbewusste, erwachsene Frauen, die Dank der Unterstützung vieler Helferinnen wie Maria Szepesi (auf den Bildern rechts) eine neue Heimat gefunden haben. Und die Pfarre hat auch im gemeinsamen Engagement für Menschen in Not profitiert, weiß Ursula Tuch (links).
Dass diese sich auch in der aktuellen Flüchtlingssituation wieder engagieren, sei abschließend angemerkt.
Asylhilfe Überblick Österreichweit
Weitere Informationen zu "Der Sonntag" die Zeitung der Erzdiözese Wien