„Es ist teurer, die Menschen ewig in der Mindestsicherung zu lassen, als sich um die Integration zu bemühen“, sagt AMS-Vorstand Johannes Kopf.
„Es ist teurer, die Menschen ewig in der Mindestsicherung zu lassen, als sich um die Integration zu bemühen“, sagt AMS-Vorstand Johannes Kopf.
Mit Kompetenzchecks will das Arbeitsmarktservice die Kenntnisse und Fertigkeiten von Asylwerbern abklären. Schnellere Asylverfahren wären für die rasche Integration notwendig, unterstreicht AMS-Vorstand Johannes Kopf im "SONNTAG"-Interview.
Der SONNTAG: In Österreich gibt es einen Höchststand an Arbeitslosigkeit. Rund 400.000 Personen sind derzeit ohne Arbeit.
Sind geflüchtete Menschen mit Asylstatus, die arbeiten dürfen, eine Konkurrenz für die arbeitslosen Menschen?
Johannes Kopf: Das ist eine Frage, die von Experten der Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland und Österreich diskutiert worden ist. Die Meinung lautet: nein.
Der Grund ist im Wesentlichen der, dass die Menschen, die zu uns fliehen, anders als die Zuwanderung, die aus den EU-Ländern kommt, eine solche ist, die nicht konkret auf bestimmte Arbeitsplätze kommt, sondern aus Fluchtmotiven wie Krieg und Verfolgung.
Das sind Menschen, die unsere Sprache, unsere Kultur nicht kennen, die auch noch keine persönlichen Netzwerke hier haben. Das ist ein deutlicher Unterschied zur Fluchtbewegung während des Jugoslawienkrieges.
Deswegen werden diese Leute in erster Linie selbst einmal arbeitslos sein. D.h. die Integration wird sehr schwierig. Aber eine direkte Konkurrenzierung oder breitflächige Verdrängung ist nicht zu erwarten.
Derzeit führt das AMS sogenannte Kompetenzchecks durch, bei denen die Qualifizierung von geflüchteten Menschen aufgenommen und getestet wird. Wie führt man diese durch?
Johannes Kopf: Herauszufinden, was jemand kann, ist nur auf den ersten Blick einfach. Beim zweiten kommt man drauf, dass unsere beiden Systeme überhaupt nicht vergleichbar sind.
Der österreichische Arbeitsmarkt, das heimische Bildungssystem ist nicht vergleichbar etwa mit dem System in Syrien oder Afghanistan.
Dazu kommen die großen Sprachschwierigkeiten. Man muss es ehrlich sagen: Meine Kolleginnen und Kollegen an den Schaltern können sich hier nicht mit den Flüchtlingen unterhalten.
Wenn gebrochen Deutsch oder Englisch gesprochen wird, dann findet man vielleicht heraus, dass jemand Technik oder ähnliches sagt und weiß dann, dass es da vielleicht ein Interesse gibt, aber ob das heißt, er hat ein Studium begonnen, abgebrochen, vollendet, eine Schule gemacht, oder nur in einem technischen Bereich gearbeitet, das ist bei den Verständigungsschwierigkeiten kaum möglich.
D.h. wir haben sehr früh schon, vor zwei Monaten begonnen, 1.000 Personen in fünfwöchige Kompetenzchecks einzubeziehen.
Hier wird in den Muttersprachen, auf Arabisch, in Farsi, in Russisch und in Französisch, die Kompetenz erhoben. Darin muss man einmal beginnen, das österreichische Ausbildungssystem rudimentär zu erklären.
Weil es hat keinen Sinn jemanden zu fragen, ob er vielleicht eine Lehre machen will, wenn er gar nicht weiß, was eine Lehre ist. Wir haben hier auch Schnuppertage, wo die Flüchtlinge tatsächlich ihre Fähigkeiten erproben können. Diese Kurse laufen und sind Mitte Dezember abgeschlossen.
Wir haben dann Daten von 1.000 Personen. Mit denen kann man dann einmal hochrechnen, um ein bisschen die Frage beantworten zu können, welche Qualifikationen, die Flüchtlinge haben.
Hierüber wird sehr viel geredet. Da gibt es die eine Seite, die sagt, das sind alles Hochqualifizierte: Doktoren, Ingenieure etc. Die andere sagt, das sind alles Analphabeten.
Beide Seiten liegen falsch, beide Seiten haben in Wirklichkeit keine Information. Die beste Information, die es gibt, haben wir.
Das sind unsere Eintragungen in den Datensätzen und die sind schlecht, weil sie aufgrund der sprachlichen Schwierigkeiten noch nicht so erhoben worden sind, wie es jetzt bei den Kompetenzchecks passiert.
Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Bildung und Arbeitslosigkeit? Stimmt es, je geringer das Bildungsniveau ist, desto höher die Arbeitslosigkeit?
Johannes Kopf: Dieser Zusammenhang ist sehr evident. Es gibt überhaupt kein Persönlichkeitsmerkmal, ob Alter, Geschlecht etc., das so einen starken Zusammenhang mit dem Risiko arbeitslos zu sein hat wie die Ausbildung.
Wir haben eine Arbeitslosenquote von Personen mit Lehrabschluss von knapp über sieben Prozent und von Personen mit Pflichtschule mit 24 Prozent. Alle höheren Qualifikationen liegen unter den sieben Prozent.
Ja, es ist klar zu erwarten, dass unter den Flüchtlingen ein großer Prozentsatz auch sehr minder qualifiziert ist. Das ist eine große Herausforderung. Es wird in vielen Fällen ein mehrjähriger Prozess sein. Und es wird auch Fälle geben, wo die Integration am Arbeitsmarkt kaum funktioniert.
Es ist aus meiner Sicht völlig unerheblich, ob einem das ein soziales Anliegen ist oder nicht, die Integration. Es ist jedenfalls wirtschaftlich sinnvoll.
Es ist jedenfalls teurer, die Menschen ewig in der Mindestsicherung zu lassen, als sich um die Integration zu bemühen. Jeder Deutschkurs ist billiger als ein Monat Mindestsicherung. Aus meiner Sicht ist die Integration alternativlos.
D.h. Deutschkurse sofort, Integration nicht von Anfang an?
Johannes Kopf: Integration am Arbeitsmarkt ab der ersten Stunde geht schon alleine deswegen nicht, weil wir als AMS erst zuständig sind, wenn sie Asyl bekommen haben.
Wir wissen aus vielen Erfahrungen, dass die Integrationsarbeit dann eine Chance auf Erfolg hat, wenn sie rasch beginnt.
Wenn jetzt auf Grund der Menge der Menschen, die zu uns fliehen und Personalknappheit bei den Asylbehörden, wenn jetzt die Asylverfahren lange dauern, möglicherweise über ein Jahr, dann erschwert das unsere Bemühungen enorm.
Wir produzieren hier Langzeitarbeitslosigkeit, bevor wir mit unseren Integrationsbemühungen begonnen haben.
Wer einen positiven Asylbescheid hat darf arbeiten. Was ist das Problem, wenn man in dem Zusammenhang großzügiger wäre?
Johannes Kopf: Wir haben momentan eine Regelung, die lautet: Nach drei Monaten dürfen Asylwerber, also jene die noch kein Asyl haben, in zwei Branchen arbeiten: Landwirtschaft und Tourismus, und dort nur mit Bewilligung.
Tatsächlich sind das wenige. Je mehr ich über das ganze Thema nachdenke, muss ich offen sagen, desto mehr bin ich der Meinung, am besten wäre das ganze Thema gelöst, wenn die Asylverfahren schnell gehen. Ich würde massiv dafür plädieren, dass es hier deutliche Personalaufstockungen gibt.
Die Leute brauchen Klarheit über die Frage, ob sie hier bleiben dürfen oder nicht.
Die Flüchtlingsströme werden nicht abreißen. Wird es von Seite des AMS dann noch intensiveres Handeln geben?
Johannes Kopf: Versuchen wir einmal die Potentiale dieser Leute zu erkennen oder wertzuschätzen. Wenn jetzt sehr viele Leute zu uns kommen, die Arabisch können, dann sollten wir einmal darüber nachdenken, ob das nicht möglicherweise Sprachen sind, die wir brauchen können, um diese Märkte mit unseren Produkten zu erobern.
Es wäre nicht gut, wenn wir bei den Jugendlichen und Kindern, die jetzt zu uns kommen, das Arabisch verkümmern lassen.
Es entstehen auch neue Jobs: Wir haben bei einem unserer Kompetenzchecks einen syrischen Arzt. Die Nostrifikation seiner Urkunden dauert relativ lang, Er will gerne medizinisch arbeiten, darf aber nicht, weil es ein geschützter Bereich ist.
Das Hilfswerk hat momentan in seinen Unterbringungseinrichtungen Flüchtlinge, die regelmäßig Medikamente bekommen. Es hat nun diesen Syrer eingestellt, weil er die Listen führt, wer regelmäßig Medikamente braucht. Er kann das beurteilen und mit den Menschen Arabisch sprechen.
Johannes Kopf ist seit Juli 2006 Vorstandsmitglied des Arbeitsmarktservice Österreich.
Davor war der 1973 geborene Jurist drei Jahre als Arbeitsmarktexperte im Kabinett von Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein (ÖVP) tätig, von 1999 bis 2003 als Referent der Industriellenvereinigung.
Von 2001 bis 2002 war er Österreichs Arbeitgeber-Verhandler in Brüssel im Sozialen Dialog der EU zu den Themen Leiharbeit und Telearbeit.
alle, denen die Integration von Flüchtlingen ein Anliegen ist:
Wann: Samstag, 5. Dezember 2015,
von 10 bis 17 Uhr
Wo: im Kardinal König Haus,
1130 Wien, Kardinal-König-Platz 3
www.erzdioezese-wien.at/integrationstag
oder Tel. 01/512 3503-3964 (Barbara Kornherr).
Anmeldung bis 31. November erforderlich, die Teilnahme ist kostenlos.
Weitere Informationen zu "Der SONNTAG" die Zeitung der Erzdiözese Wien