Armut und Gewalt prägen die Siedlung am Stadtrand von Aracaju.
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Armut und Gewalt prägen die Siedlung am Stadtrand von Aracaju.
Straßen ohne Kanalisation, Gewalt und Drogenbanden – der Stadtrand von Aracaju ist eine jener Gegenden, wo das Geld fehlt, das stattdessen in die WM fließt. In der Pfarre der Steyler Missionare sind es in erster Linie die Frauen, die sich für den Aufbau von Basisgemeinden einsetzen.
Früher haben wir aus Angst vor Schusswechseln unter dem Bett geschlafen“, erzählt Kátia, Koordinatorin für Liturgie in einer Basisgemeinde. „Heute gehen wir in der Nacht von Haus zu Haus und machen Familienbesuche!“ Das Klima der Gewalt hat sich nicht geändert in der riesigen Siedlung am Stadtrand von Aracaju.
Immer noch finden Schusswechsel zwischen Drogenbanden statt. Aber diese Frauen der Pfarre Santa Cruz, die seit drei Jahren von den Steyler Missionaren betreut wird, haben die Angst überwunden. Ausnahmslos Frauen sind es, die in den neun Basisgemeinden für die Liturgie verantwortlich sind. Frauen, die nicht nur Gottesdienste vorbereiten und leiten, sondern auch zu Missionarinnen geworden sind. Sie setzen sich für ein friedliches Miteinander der Bewohner des Viertels und für den Aufbau christlicher Gemeinden ein.
Fast endlos reihen sich hier, kaum sechs Kilometer von den Sandstränden der Landeshauptstadt Aracaju entfernt, ebenerdige Häuser aneinander. Die Bewohner sind in den letzten Jahren aus dem Landesinnern zugezogen, auf der Flucht vor Dürre und Elend und auf der Suche nach einem besseren Leben. Google-Maps hat die Gegend erst vor einem Jahr hinzugefügt, und das Navigationsgerät im Auto erkennt nach wie vor die Straßen nicht. „Siehst du, wir existieren gar nicht für die Welt“, kommentiert Pater Francisco Hanuszewicz SVD, ein polnischer Steyler Missionar, der hier Pfarrer ist. Er hat sich entschieden, das Leben der Menschen hier am Stadtrand zu teilen.
Aracaju ist reich an Erdöl und Erdgasvorkommen, nach denen vor der Küste gebohrt wird. Von diesem Reichtum sehen die Bewohner hier an der Peripherie der Stadt allerdings nichts. Sie bringen sich mehr schlecht als recht mit minder bezahlten Jobs in den reicheren Vierteln der Stadt durch. Hier am Stadtrand ist kaum eine Straße asphaltiert, es gibt keine Kanalisation und in der Regenzeit verwandeln sich die Straßen in stinkenden Morast. „Alles war voller Dreck, als wir hier unsere Volksmissionen abgehalten haben“, erzählt Pater Francisco. Schon dreimal wurden flächendeckend Hausbesuche durchgeführt und die Anzahl der katholischen Familien in den Vierteln erhoben. Über 2000 konnten mittlerweile registriert und in Basisgruppen von je 30 Familien zusammengefasst werden. Nachbarn, die früher nie miteinander redeten, lernen sich kennen. Langsam wächst ein Klima des Vertrauens und des Miteinanders.
Familiengruppen bilden den Kern der katholischen Basisgemeinden hier im Viertel. Deren Anzahl ist in den letzten drei Jahren von drei auf neun angewachsen. Die Lateinamerikanische Bischofsversammlung von Aparecida hat 2007 betont, dass die Pfarre ein Netz von lebendigen Gemeinschaften sein muss. Dieses Konzept wird auch von der brasilianischen Bischofskonferenz propagiert, und Pater Francisco identifiziert sich völlig damit. Er ist überzeugt, dass die katholische Kirche näher zu den Leuten kommen muss.
Der Turm der katholischen Kirche überragt oft das Stadtviertel, aber näher bei den Leuten sind die vielen Freikirchen, die ihre Gotteshäuser direkt in der Nachbarschaft der Leute haben. Allein in der Straße, die zum Pfarrhof hinaufführt, sind drei solcher Kirchen. Die katholischen Basisgemeinden haben oft noch keine eigene Kirche, ja nicht einmal einen kleinen Gemeindesaal. Daher treffen sie sich in Garagen oder im Hinterhof der Häuser. Der Pfarrer bemüht sich, kleine Grundstücke zu erwerben und die Gemeinden zum Bau ihrer eigenen Kirche zu bewegen. „Pater Francisco sagt, dass wir selbst unsere Kirche bauen müssen“, erzählt Dona Zita von der Basisgemeinde São Lucas. „Er hat recht. Wir sind hier zu Hause. Er als Missionar wird wieder weiterziehen.“
Neben der Bildung von Kerngemeinden durch die Familiengruppen ist es ein Hauptanliegen der Pfarrseelsorge, die Leute in das christliche Leben einzuführen und in das Gemeindeleben einzubinden. Vor und nach jedem Gottesdienst, ob Messe oder Wort-Gottes-Feier, gibt es einen „Plantão pastoral“. Jemand sitzt an einem Tisch, gibt Auskunft über pfarrliche Angebote, Gruppen und Aktivitäten und notiert Anmeldungen für die Vorbereitung zu den Sakramenten.
Will jemand ein Kind taufen, so gibt es eine schrittweise Einführung der Eltern und Paten in das Leben der Gemeinde: vom Hausbesuch von Mitarbeitern der Familienpastoral bei den Eltern bis zu speziellen Katechesen über das Sakrament der Taufe und die Mitverantwortung von getauften Christen, die während des Gottesdienstes stattfinden, bis zum letzten Schritt, der Taufe des Kindes durch den Pfarrer in der Gemeindemesse.
Die Pfarre lebt durch das Engagement vieler Frauen und Männer. Für sie bedeutet Christsein vor allem Hinausgehen zu den Menschen, an den Rand der Gesellschaft. Der „Plantão pastoral“, das Sitzen im Gemeindezentrum, genügt nicht. Hier am Stadtrand von Aracaju braucht es eine Kirche im Aufbruch, in ständiger Mission, wie sie Papst Franziskus im Dokument „Evangelii Gaudium“ beschrieben hat.
Es braucht Menschen wie Dona Jaildes im Jardim Recreio, einer besonders gewalttätigen Gegend hier. Jeden Abend besucht sie eine Familie, ohne Angst vor der Gewalt der Drogenbanden. „Sie kennen mich. Sie wissen, dass ich für alle nur Gutes will. Und ich weiß, dass Gott mich beschützt!“ Voller Begeisterung zeigt sie in ihrer Garage einen Tisch mit einer Marienstatue. Es ist Nossa Senhora Aparecida, die Schutzpatronin Brasiliens. „Sie begleitet mich, wenn ich zu den Menschen gehe“, sagt Dona Jaildes. „Alle sollen die mütterliche Liebe Gottes spüren!“