Rio de Janeiro- die Hauptstadt Brasiliens. In diesem Land gibt es 9.000 Seminaristen.
Rio de Janeiro- die Hauptstadt Brasiliens. In diesem Land gibt es 9.000 Seminaristen.
Am 12. Juni hat die Fußball-WM in Brasilien begonnen: in einem Land, in dem Fußball eine Religion ist – dessen Menschen aber auch sonst sehr religiös sind.
Brasilien ist Südamerikas Land der Superlative: Mit einer Fläche von 8,51 Millionen Quadratkilometern ist es mehr als 100-mal größer als Österreich. 195 Millionen Einwohner hat das Land, rund 125 Millionen Menschen sind katholisch. Damit ist Brasilien das Land mit den meisten Katholiken weltweit, gefolgt von Mexiko mit mindestens 85 Millionen. 37.800 Seelsorgezentren gibt es hier, 20.700 Priester, knapp 9.000 Seminaristen, rund 500.000 Katecheten, dazu knapp zwei Millionen Schülerinnen und Schüler an kirchlichen Schulen. Die Brasilianische Bischofskonferenz zählt nicht weniger als 453 Mitglieder, und das Spektrum ihrer Einstellungen ist so bunt wie das Land selbst.
Religion und Glaube prägt das Leben von Millionen Menschen in dem Riesenland. Und der Glaube ist hier viel stärker emotional als von kritischer Ratio geprägt als etwa in Westeuropa. Gemeinde ist oft noch tatsächlich Ort gemeinsamen Lebens, Lernens und Teilens.
Klar steht die Kirche Brasiliens für den Schutz der Menschenrechte der indigenen Bevölkerung und der Umwelt: die 2005 ermordete US-Ordensfrau Dorothy Stang etwa oder „Amazonasbischof" Erwin Kräutler (74) aus Vorarlberg, der durch sein konsequentes Leben mit den Indios am Fluss Xingu den Staudamm-Erbauern und Großgrundbesitzern in die Quere kommt und seit Jahren Morddrohungen erhält.
Brasilien, das ist außerdem das Heimatland der sogenannten Theologie der Befreiung, die seit den späten 1960er Jahren das Schicksal der Armen ins Zentrum kirchlichen Schauens, Denkens und Handelns stellt. Eine Auflistung kirchlicher Persönlichkeiten aus Brasilien liest sich wie ein „Who is who" der Befreiungstheologie – unter adnerem wirken und wirkten hier Erzbischof Helder Camara (1909-1999), die Gebrüder Leonardo (75) und Clodovis (70) Boff und der Spanier Pedro Casaldaliga (86).
Die heutige Bischofsgeneration, Rios Kardinal Orani Joao Tempesta (63), oder Sao Paulos Kardinal Odilo Pedro Scherer (64), steht kirchenpolitisch deutlich weniger „links", sind aber bekannt dafür teils innovative Wege in der Seelsorge zu gehen. In Sao Paulo etwa baut Scherer, der zu den Favoriten bei der Papstwahl im März vergangenen Jahres zählte, stark auf junge charismatische Gemeinschaften, die Zugänge auch zu den von Papst Franziskus beschworenen „Rändern der Gesellschaft" suchen.
Und neue Wege sind notwendig, denn die evangelikalen Pfingstkirchen und Sekten machen der katholischen Kirche Brasiliens zu schaffen – mehr noch als in den anderen Ländern des Subkontinents. Zwar blieb die Zahl der Katholiken in den vergangenen Jahrzehnten nahezu konstant – doch angesichts eines starken Bevölkerungswachstums bedeutet das ein Sinken des Katholikenanteils von 90 Prozent noch in den 1960er-Jahren auf inzwischen etwa zwei Drittel. Laut dem Zensus von 2010 bezeichneten sich bereits 42 Millionen Brasilianer als evangelikal; im Jahr 2000 waren es noch 26 Millionen. Im gleichen Zeitraum stagnierte die Zahl derer, die als Glaubensrichtung „katholisch" angeben.
Der Papst ist bei der WM im katholisch geprägten Brasilien präsent – nicht persönlich zwar, jedoch in Form eines „Franziskus-Momentes“ beim Eröffnungsspiel Brasilien gegen Kroatien. Um die Friedensbotschaft des Fußballs zu zeigen, um die es auch dem Papst geht, wurde auf dem Spielfeld eine Taube freigelassen. Franziskus' Idee war freilich eine andere gewesen – er hätte gerne einen Olivenbaum am Spielfeldrand gepflanzt gesehen. Nicht mit FIFA-Regeln realisierbar, heißt es von offizieller Stelle.
Papst Franziskus, bekennender Fußball-Fan, nutzt den Sport durchaus auch immer wieder als Brücke für Botschaften, und das sogar in der Wortwahl. Die Aufgabe der Christen wie auch der gesamten Kirche sei mit jenen eines Fußballteams vergleichbar, sagte er beim Weltjugendtag in Rio zu den jungen Pilgern auf der Copacabana, sie müssten immer wieder „hart trainieren“ und wie Jesus „nicht Zuseher, sondern Akteure der Geschichte“ sein. In diesem Sinne: „Juegen adelante!“: „Spielt vorne mit!“