Liebe Leserinnen und Leser des „Sonntag“!
Wenn Sie diese Zeilen lesen, bin ich bereits auf hoher See. Ich bin mit 500 Wallfahrern unserer Erzdiözese auf den Spuren des Heiligen Paulus. Doch während ich dies schreibe, bin ich noch in Wien – voller Vorfreude, aber doch auch bedrückt. Ich konnte am Montag im engbeschriebenen Terminkalender eine Lücke schaffen, um wenigstens eine der Kirchen zu besuchen, die am Wochenende zuvor von einem Vandalen heimgesucht worden war. Der Besuch, die Begegnung mit blinder Zerstörungswut in einem heiligen Raum, wirkt immer noch in mir nach.
Ich war in der Lazaristenkirche im 7. Bezirk in Wien: Sie ist die Kirche, die am meisten gelitten hat. Zwölf Statuen und zwei Holzfiguren hat der Täter (oder die Täter) von den Altären gerissen und in tausend Stücke zerspringen lassen. Ein Anblick, der mir sehr nahegegangen ist: Hier liegt eine segnende Hand auf dem Boden, dort ein Heiligenkopf, hier ein Arm des hölzernen Christus, dort unkenntliche Fragmente einer Statue aus Gips. Die Altäre sind leergefegt. Und mittendrin im Chaos eine kleine, unversehrte Pietà: Maria hält den Leichnam Jesu und schaut unendlich traurig in den Raum, als würde sie fragen: Woher kommt dieser Hass?
In den anderen Kirchen, dem Stephansdom, der Pfarrkirche Breitenfeld und der Pfarrkirche Neuottakring ist die Verwüstung nicht ganz so groß, aber auch sie macht betroffen. Das Bild des Kruzifixes in Neuottakring geht besonders zu Herzen: Der Täter konnte nicht in das durch ein Gitter gesicherte Hauptschiff, daher zertrümmerte er mit einem Zeitschriftenständer den Unterleib und die Beine der Christusfigur aus Gips.
Es ist wie ein blindwütiger Angriff auf all die Gebete, die Hoffnungen und das Vertrauen, dass die Menschen vieler Generationen vor die Kruzifixe, vor die Abbilder der Heiligen getragen haben, die sie ihnen gleichsam zu Füßen gelegt haben. Keine Symbole von Macht und Unterdrückung wurden da vom Sockel gerissen, sondern der Inbegriff der Güte, der Hingabe, der Fürsorge. Darum habe ich in einem Fernsehinterview gesagt: Ich hoffe, der Täter hat gar nicht gewusst, was er da tut.
Meine große Bitte aus diesem Erleben ist die: Lassen wir trotzdem die Kirchentüren weit offen! Jetzt erst recht. Machen wir es den Menschen nicht schwer, den Weg zum Altar und vor den Tabernakel zu finden. Vandalen und Diebe – gottseidank selten genug in unseren Kirchen – können nichts zerstören, was wir nicht verschmerzen könnten. Einen Sieg würden sie erst erringen, wenn wir ängstlich alles wegschließen.
Besuchen Sie wochentags die Kirchen!
Freilich wollen wir uns auch nicht leichtfertig die Bilder und Statuen nehmen lassen, die so vielen Menschen im Lauf der Generationen in ihren Sorgen, in der Andacht, im Gebet eine Stütze waren. Auch da habe ich eine Bitte: Ermutigen Sie in Ihrer Pfarre die Menschen dazu, so oft wie möglich die Kirche zu besuchen! Nicht nur zur Sonntagsmesse, sondern auch unter der Woche. Und es muss ja nicht gleich sein, um zu beten. Auch wer sich nur für einen Moment der Stille oder wegen der kühlen Temperatur an einem heißen Tag in der Kirchenbank niederlässt, kommt Gott näher – und seine Präsenz verhindert vielleicht einen Übergriff.
Manche werden mir vielleicht vorwerfen, diese Antwort auf den Vandalismus sei zu defensiv. Wir müssten mehr Stärke zeigen. Aber da bin ich zurück beim Ausgangspunkt: beim Heiligen Paulus. Am Samstag werden wir Makedonien bereisen, jene Landschaft, in der Paulus seinen zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth geschrieben hat. In diesem Brief sagt Paulus die großen Worte: „Deswegen bejahe ich meine Ohnmacht, alle Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“
Wenn ich schwach bin, bin ich stark – denn die Gnade Gottes wirkt in der Schwachheit. Ich werde an diesem Reisesamstag besonders an die Pfarrgemeinden denken, denen der Schock über das Eindringen der Gewalt in ihre Kirchen noch in den Gliedern sitzt. Aber auch an alle anderen, die ihre Ohnmacht und Nöte „für Christus“ ertragen. An die vielen Christen in der Verfolgung, die noch viel größerem Hass ausgesetzt sind.
Am Sonntag sind wir dann in Ephesos: Dort hat Paulus das Hohelied der Liebe verfasst. Darin besingt er die Liebe, die sogar noch größer ist als Glaube und Hoffnung, und von der er sagt: Sie „lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach.“ Dort in Ephesus möchte ich dann besonders für die beten, die in der Lieblosigkeit gefangen sind wie in einem dunklen Kerker.
Ihr
+ Christoph Kard. Schönborn
![]() |
Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" vier Wochen gratis testen. |
![]() |
Das Team der Redaktion des Sonnntags |
Datenschutzeinstellungen
Auf unserer Webseite werden Cookies verwendet für Social Media, Analyse, systemtechnische Notwendigkeiten und Sonstiges. Sie können Ihre Zustimmung später jederzeit ändern oder zurückziehen.