Christoph Schönborn, geboren am 22. Januar 1945 in Skalsko, 60 Kilometer nordöstlich von Prag, entstammt einer der bedeutendsten Familien Europas. Die Familie Schönborn ist seit Jahrhunderten eng mit der katholischen Kirche verbunden. Aus dieser Familie stammen acht Bischöfe, darunter auch Kurfürsten, die vielfach Landesfürsten und bedeutende Bauherren waren. Einer von ihnen ist auch Namensgeber des Ortes Schenborn ( Alsóschönborn bzw. Шенборн ) in Transkarpatien( Ukraine). Unter den Kardinälen aus seiner Familie ist Christoph Schönborn der dritte.
Christoph kommt in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs zur Welt. Im Herbst 1945 flieht seine Familie nach Österreich. Sie findet in Schruns und Bludenz ein neues Zuhause. Christoph wächst mit zwei Brüdern und einer Schwester in bescheidenen Verhältnissen auf. Seine Eltern lassen sich Ende der 1950er-Jahre scheiden. Dieses einschneidende Ereignis prägt ihn nachhaltig. Seine Familie beschreibt er als traditionell katholisch, in der der Glaube allerdings keine zentrale Rolle spielte. Im Rückblick erzählt er, dass er im Alter von 11 Jahren eine deutliche innere Gotteserfahrung in einer Vorarlberger Kirche machte, die ihn das ganze Leben nicht mehr losgelassen hat. Anfangs spielt er mit dem Gedanken, Architekt zu werden, denn er ist fasziniert von der Verbindung von Kunst und Funktion. Gleichzeitig zieht es ihn zum geistlichen Leben. Zunächst reift der Gedanke, Priester zu werden. Doch dann wird ihm klar, dass sein Platz im Ordensleben ist.
Mit 16 Jahren schließt er sich einer Pilgergruppe nach S. Giovanni Rotondo an, wo er eine Messe mit P. Pio von Pietrelcina miterlebt. Unterwegs besucht er zum ersten Mal Rom und übernachtet in Santi Quattro Coronati unterhalb des Laterans, einem Ort, an dem er Jahrzehnte später als Kardinal häufig Quartier nehmen wird. Im selben Jahr lernt er durch den Kontakt mit P. Paulus Gunz auch die Dominikaner und das Dominikanerkloster Retz kennen, mit dem er nach der Auflösung durch den Orden treu verbunden bleibt.
Nach der Matura im Jahr 1963 tritt er in den Dominikanerorden ein. Die Verbindung von kontemplativem Gebet und intellektueller Auseinandersetzung mit dem Glauben entspricht seiner Persönlichkeit. Er studiert an einigen der wichtigsten theologischen Hochschulen Europas: in Walberberg bei Bonn, an der Dominikanerhochschule Le Saulchoir und der Sorbonne in Paris. 1974 promoviert er schließlich mit höchster Auszeichnung in "Theologie der Ikone" am Institut Catholique. Er erlebt die Studentenrevolte 1968, für die er zunächst Sympathien hat, aber die Gewaltausbrüche schrecken ihn ab und er geht auf Distanz. Auch ein kurzes Intermezzo, in dem er seine Berufung noch einmal prüft, fällt in diese Zeit. Während dieser Auszeit studiert er in Wien unter anderem Psychologie bei Viktor Frankl. Schließlich entscheidet er sich endgültig für den Predigerorden. Ein entscheidender Einfluss war daran hatte der Wiener Dominikaner P. Innozenz Varga.
Die letzte, prägende Studienphase verbringt er in Regensburg, wo er unter Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., studiert. Damit gehört er auch zum "Ratzinger-Schülerkreis", der sich jährlich mit dem alten Lehrer – bis wenige Jahre vor dessen Tod – trifft. So entwickelt sich auch eine lebenslange Freundschaft mit Joseph Ratzinger, die von gegenseitigem Respekt und theologischer Übereinstimmung geprägt ist. Ratzinger wird von den Vertretern der "Theologie Nouvelle" geprägt, die die Tradition der Kirche in einen lebendigen Dialog mit der Moderne bringen wollen. Das ist auch das Lebensanliegen von Christoph Schönborn.Am 27. Dezember 1970 empfängt er in der Wiener Dominikanerkirche durch Kardinal Franz König die Priesterweihe. Damit beginnt ein Leben, das gleichermaßen der Theologie und der Seelsorge gewidmet ist.
Von 1973 bis 1975 ist er gemeinsam mit Egon Kapellari Studentenseelsorger in Graz. Gleichzeitig findet er in der in Frankreich aufblühenden charismatischen Bewegung mit ihren vielen neuen Gemeinschaften einen neuen Schwung im Glauben. Viele von ihnen vereinen, was P. Christoph am Herzen liegt: eine Wiederentdeckung der Kirchenväter, Inspiration an ostkirchlicher Spiritualität und Liturgie und das Engagement für die Armen. Zum Allerheiligenfest 1974 zelebriert er einen Gottesdienst für eine Gruppe von Dominikanerinnen in Vezelay, der die Gründung der neuen dominikanischen Gemeinschaft vom Lamm einläutet.
In dieselbe Zeit fällt auch der Beginn seiner akademischen Laufbahn: 1974 hat er am Institut Catholique über die Theologie der Ikone dissertiert. 1975 wurde er Extraordinarius für Dogmatik an der Universität Fribourg in der Schweiz. Ab 1978 übernahm er zusätzlich den Lehrstuhl für Theologie des christlichen Ostens. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die Theologie der Kirchenväter, die christliche Ikonographie und die Ökumene mit der Ostkirche. Trotz mancher Anfeindungen hält er seinen Lehrstuhl auf ausdrücklichen Wunsch seiner Ordensleitung bis zum Sommersemester 1991. Im Jahr 1981 wird er schließlich Ordinarius für Dogmatik.
Während dieser Zeit engagiert er sich auch in zahlreichen theologischen Kommissionen: Er wird Mitglied der Theologischen Kommission der Schweizerischen Bischofskonferenz, der orthodox-römisch-katholischen Gesprächskommission und der christkatholisch-römisch-katholischen Gesprächskommission der Schweiz. 1984 wird er von Kardinal König in die Stiftung Pro Oriente berufen. Diese Arbeit spiegelt seine Leidenschaft für den Dialog zwischen den christlichen Traditionen wider.
1980 beruft ihn Papst Johannes Paul II. in die Internationale Theologenkommission, 1985 zur Teilnahme an der Synode anlässlich des 20-Jahr-Jubiläums des II. Vatikanischen Konzils. Von 1987 bis 1992 spielt er eine zentrale Rolle als Sekretär der Redaktionskommission für den Katechismus der Katholischen Kirche unter der Leitung von Kardinal Joseph Ratzinger. Schönborns Talent, Tradition und Moderne miteinander ins Gespräch zu bringen, zeigt sich in diesem Werk, das ein ausdrücklicher Wunsch der Synode von 1985 war, auf ganzer Linie. Das Werk wird ein Standardwerk der katholischen Glaubenslehre.
Im Jahr 1985 hält Christoph Schönborn den Eröffnungsvortrag bei den Gesprächen im Stift Sankt Georgen am Längsee, die unter der Leitung von Kardinal Joseph Ratzinger stehen. Sein Thema "Theologie – Lehramt – Glaube: ein Dauerkonflikt?" zeigt eindeutig, dass er sich sein ganzes Leben lang für die Verbindung zwischen kirchlicher Tradition und den Herausforderungen der Gegenwart einsetzt. 1989 gerät Christoph Schönborn erstmals in den Fokus der breiteren Öffentlichkeit, als er in den österreichischen Medien als Kandidat für das Amt des Erzbischofs von Salzburg genannt wird.
In diesen Jahren entwickelt sich eine enge Freundschaft mit Peter Turrini, den Schönborn bei seinen Urlauben in Retz kennengelernt hat. Turrini eröffnet ihm den Zugang zur modernen Literatur. Als 1990 Turrinis Werk "Liebe, Tod und Teufel" gerade in kirchlichen Kreisen heftigen Protest provoziert, steht Christoph Schönborn an vorderster Front. Er verteidigt das Werk in der Wochenzeitung "Die Furche" – und zwar ausführlich.
Am 11. Juli ernennt Papst Johannes Paul II. Christoph Schönborn zum Titularbischof von Sutri und Weihbischof von Wien. Sprungbereite Kritiker sehen in ihm den "Mann Ratzingers", einen Vertreter eines konservativen Flügels der Kirche, der in den Augen vieler eine Rückbesinnung auf Tradition und Lehre repräsentiert. Leo Prüller, Präsident der Katholischen Aktion, und der Grazer Hochschulseelsorger Heinrich Schnuderl springen für ihn in die Bresche und bezeichnen ihn als "Mann der Versöhnung" mit einer besonderen Fähigkeit, Brücken zu bauen und Menschen zusammenzuführen. In einem seiner ersten Interviews betont er, dass Versöhnung nicht mit faulen Kompromissen verwechselt werden dürfe. Die Kirche müsse Orientierung geben, indem sie sich auf die wesentlichen Glaubensinhalte besinne.Diese klare, aber einladende Haltung zieht sich wie ein roter Faden durch sein Wirken.Schon bei seiner Bischofsweihe am 29. September 1991 setzt er mit seiner Predigt Akzente, die sein weiteres Wirken als Bischof charakterisieren: Im Zentrum steht dabei die Freundschaft mit Christus, wie im bischöflichen Leitmotiv aus dem Johannesevangelium: "Ich aber habe euch Freunde genannt" (Joh 15,15). Das Kollektengeld seines Weihegottesdienstes widmet er einem Hilfsprojekt für benachteiligte Jugendliche. Mit dieser Geste macht er unmissverständlich klar, dass sein Bischofsamt nicht nur von theologischer Reflexion, sondern auch von einer besonderen Sensibilität für Armut in ihren verschiedenen Formen geprägt sein wird.Diese Haltung findet Anklang – bald sprechen die Medien von "Schönwetter" in der österreichischen Kirche.
Eines seiner ersten großen Projekte ist die Versöhnung der katholischen Hochschulgemeinde (KHG) in Wien, die unter schweren internen Konflikten leidet. Mit seiner bewährten Kombination aus Geduld, Offenheit und der Gabe, Konsens zu schaffen, gelingt es Schönborn, die Gemeinde in ihrer Vielfalt zu einen. Seine Teilnahme an der Fußwallfahrt der KHG nach Mariazell im Juni 1992 ist ein symbolträchtiges Zeichen seiner Nähe und seines Einsatzes für die Gemeinschaft.
Schönborn baut in Österreich Brücken und engagiert sich gleichzeitig auf internationaler Ebene in der Endredaktion des Katechismus der Katholischen Kirche, der im Juni 1992 vorgestellt wird. Der Katechismus macht den katholischen Glauben in einer sich wandelnden Welt verständlich und ist gleichzeitig eine Orientierungshilfe für Gläubige und Theologen. Schönborn beschreibt das Werk treffend als Antwort auf die Sehnsucht vieler Menschen nach spiritueller Klarheit.
Er stellt klar, dass der Katechismus kein endgültiges Werk ist. Es muss immer wieder weiterentwickelt werden, um neuen Herausforderungen gerecht zu werden – egal ob in Fragen der Bioethik oder anderer gesellschaftlicher Entwicklungen. Schon zu Beginn macht er deutlich, dass etwa die Lehre von einer in bestimmten Fällen gerechtfertigten Todesstrafe noch in der Entwicklung ist. Während der Katechismus sich im englischsprachigen Raum größter Beliebtheit erfreut, wird er im deutschsprachigen Raum eher verhalten aufgenommen. Kritiker werfen ihm vor, zu traditionell und wenig zeitgemäß zu sein, aber Schönborn bleibt dabei, denn er weiß, dass der Katechismus eine wertvolle Orientierung bietet in unsicheren Zeiten. Schönborn kritisiert in den folgenden Jahren und Jahrzehnten immer wieder die anhaltende Opposition im deutschen Sprachraum.
Theologische Fragen sind nicht alles: Schönborn beschäftigt sich auch mit gesellschaftlichen Themen. Als Jugoslawien in den 1990er-Jahren auseinanderbrach, kam eine Welle von Flüchtlingen nach Österreich. Schönborn setzt sich für deren Aufnahme ein und erinnert in seinen Predigten daran, dass Fremde eine Bereicherung sind. In seiner Predigt zum Aschermittwoch der Künstler 1992 bringt er eindringlich zum Ausdruck, dass Christus selbst ein Fremder war. Fremde aufzunehmen, so Schönborn, bedeute, Christus selbst zu dienen. Für ihn ist dies nicht nur ein sozialer Imperativ, sondern auch ein theologisches Grundprinzip.
Schönborn setzt sich mit Nachdruck für die Bewahrung der Schöpfung ein. In einem Vortrag 1993 stellt er klar, dass die ökologische Krise nicht nur ein technisches Problem ist, sondern Ausdruck einer tieferen Entfremdung des Menschen und seiner Verantwortung vor Gott. Die Bewahrung der Natur ist laut Schönborn auch ein Kampf um die Reinheit des menschlichen Herzens. Für ihn ist die Schönheit der Schöpfung ein Ausdruck der göttlichen Liebe, die mit Ehrfurcht und Dankbarkeit bewahrt werden muss.
Neben den aktuellen Themen wendet sich Schönborn auch der Vergangenheit zu. Auf die Frage nach Vorbildern des Glaubens sagte der neuernannte Bischof, dass er in der Gestalt des vom NS-Regime hingerichteten Kriegsdienstverweigerers Franz Jägerstätter ein Vorbild christlichen Engagements gefunden habe. Dieses Engagement aus dem Glauben habe in der Radikalität des Evangeliums die Bereitschaft zum Martyrium eingeschlossen. "Jägerstätter ist ein echter christlicher Märtyrer, der um des Glaubens willen aufs Ganze gegangen ist", stellte Schönborn klar. "Ich würde mich daher freuen, wenn es bald einen seligen oder sogar heiligen Franz Jägerstätter geben könnte."
In seiner Rolle als Europa-Beauftragter der österreichischen Bischofskonferenz spielt Schönborn in den Jahren 1993 und 1994 eine entscheidende Rolle in der Debatte um den EU-Beitritt Österreichs und setzt sich dabei unmissverständlich für christliche Werte ein, die den Grundstein für die erfolgreiche Zukunft des Landes bilden. Er betont die christlichen Wurzeln des europäischen Projekts und fordert, wirtschaftliche Interessen mit sozialen und ethischen Werten in Einklang zu bringen. Gleichzeitig warnt er vor überzogenen Erwartungen.
Schönborn feiert im Januar 1995 seinen 50. Geburtstag. Anstatt diesen Tag mit einer großen Feier zu begehen, verbringt er ihn mit Obdachlosen in der Wiener Dominikanerkirche Maria Rotunda. Fortsetzung: 1995
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