Am 18. Januar 1998, kurz vor seinem 53. Geburtstag, verkündet Papst Johannes Paul II. die Ernennung Christoph Schönborns zum Kardinal. Doch die Freude über diesen bedeutenden Schritt wird von neuen Vorwürfen gegen den früheren Wiener Erzbischof Kardinal Hans Hermann Groër überschattet. Diese stammen aus dem Kreis der Mönche von Stift Göttweig, dem Groër ursprünglich angehört, und führen zu einer neuen innerkirchlichen Krise. Die Abtei Göttweig wird im Auftrag des Heiligen Stuhls visitiert. Eine ganze Gruppe von Mönchen, einschließlich des Priors, verlässt als Protest gegen Groër, aber auch gegen die Leitung des Stiftes, geschlossen das Kloster. Groër verliert sein Amt als Prior von Maria Roggendorf, das er im Widerspruch zum Kirchenrecht seit 1995 wieder angenommen hat. Er schweigt beharrlich. Die mediale Aufregung ist groß.
Groër erscheint zur allgemeinen Überraschung am 21. Februar zum Konsistorium auf dem Petersplatz und wird zum Kardinalpriester der römischen Vorstadtpfarre "Gesù Divin Lavoratore" ernannt. Damit ist er im Kardinalskollegium nun neben Franz König, Alfons Maria Stickler und Hans Hermann Groër der vierte Österreicher.
Eine unerwartete Geste des neuen Kardinals konsterniert angesichts der bereits angespannten Stimmung die Öffentlichkeit: Schönborn küsst demonstrativ Groërs Bischofsring und erklärt dies als Zeichen des Respekts vor dem Amt. In Rom appelliert Schönborn an Groër, sich öffentlich zu bekennen und um Vergebung zu bitten, und betont die Notwendigkeit eines Neuanfangs für die Kirche in Österreich.
Am 27. Februar veröffentlichen die österreichischen Bischöfe eine Erklärung, die als Wendepunkt betrachtet werden kann. In dieser stellen sie unmissverständlich fest, dass die Vorwürfe gegen Groër "im Wesentlichen zutreffen" und betonen, dass Schweigen nicht mehr tragbar sei. Die Erklärung fordert von Groër eine öffentliche Stellungnahme, die entweder ein klares Bekenntnis seiner Unschuld oder eine Bitte um Vergebung, verbunden mit einem Rückzug aus allen Ämtern, umfassen soll. Sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Vatikan stießen diese deutlichen Worte auf große Beachtung. Unbeeindruckt von der Kritik, etwa des St. Pöltener Bischofs Kurt Krenn oder des FPÖ-Parteichefs Jörg Haider, ersucht Schönborn Groër, von weiteren bischöflichen Handlungen abzusehen, bis die Vorwürfe geklärt sind. In einem Interview mit dem Magazin "Dialog" plädiert er für einen "Weg der Heilung", der Schuld benennt, Vergebung ermöglicht und Raum für einen Neuanfang schafft.
Im April 1998 empfängt Papst Johannes Paul II. Schönborn, Bischof Johann Weber und Erzbischof Georg Eder zu Gesprächen über die Causa Groër und die Situation der Kirche in Österreich. Der Papst betont, dass seine Entscheidung über Groër von Gerechtigkeit und Liebe motiviert sein wird und betont, dass diese Entscheidung ausschließlich in seiner Zuständigkeit liegt.
Am 16. April 1998 verschafft Schönborn Klarheit, indem er sich im Namen der Erzdiözese Wien bei den Opfern entschuldigt und ihnen Unterstützung zusichert. Zudem stellt er klar, dass Groër den Weisungen des Papstes folgen und Österreich verlassen wird.
Am 19. Juni 1998 kommt Papst Johannes Paul II. zu seinem dritten Pastoralbesuch nach Österreich. Die Atmosphäre ist gedämpft, denn die Kirche in Österreich befindet sich in einer tiefen Krise. Der Papst landet in Salzburg, wo Bundespräsident Thomas Klestil und Kardinal Christoph Schönborn ihn am Flughafen empfangen. Johannes Paul II. wirkt sichtlich geschwächt.Am Nachmittag besucht der Papst die Erzabtei St. Peter und betet vor dem Grab des Heiligen Rupertus.Während die offizielle Kirche den Besuch als spirituelles Ereignis feiert, bleibt die Stimmung unter den Gläubigen zwiespältig. Der Papst spricht von der Mission der Kirche in einer sich wandelnden Welt, doch viele Menschen erwarten von ihm vor allem Antworten auf die ungelösten Konflikte der Kirche in Österreich.
Am Abend reist Johannes Paul II. nach Wien, wo er am zweiten Tag seine mit Spannung erwartete "Europa-Rede" in der Wiener Hofburg hält. Er warnt vor einer neuen Teilung durch die Schengen-Grenzen und betont die Bedeutung Österreichs als Brücke zwischen Ost und West. "Europa darf seine östliche Hälfte nicht vergessen", mahnt er und erinnert an die Vision eines geeinten Kontinents vom Atlantik bis zum Ural.Kardinal Schönborn spricht dem Papst gegenüber offen über die Causa Groër und die Unzufriedenheit vieler Gläubiger. Der Papst selbst äußert sich nicht zur Schuldfrage, doch seine Anwesenheit wird als ein Versuch verstanden, die Kirche in Österreich zu stabilisieren.
Der Gottesdienst am Wiener Heldenplatz, der am Sonntag stattfindet, bildet den Höhepunkt des Papstbesuchs. Bereits frühmorgens strömen Zehntausende von Gläubigen auf den Platz, viele davon aus Österreich, aber auch aus den Nachbarländern.Im Mittelpunkt des Gottesdienstes stehen die Seligsprechungen von Sr. Restituta Kafka, P. Anton Maria Schwartz und Jakob Kern. Jede dieser drei Persönlichkeiten symbolisiert eine andere Facette des Glaubens: die Opferbereitschaft im Widerstand gegen die Tyrannei, die soziale Verantwortung und die priesterliche Treue.Am selben Abend verlässt Johannes Paul II. Österreich.Sein Besuch hinterlässt ein Land, das zwischen Glaubenskrise und Hoffnung schwankt.Kardinal Groër hat sich mittlerweile in ein Frauenkloster in Ostdeutschland zurückgezogen. Die Affäre rund um ihn bleibt eine offene Wunde, die Forderungen nach Reformen sind lauter denn je.
Kurz darauf, am 30. Juni, wird Schönborn zum Vorsitzenden der österreichischen Bischofskonferenz gewählt und wird dieser nun 22 Jahre lang vorstehen.
Kardinal Christoph Schönborn besucht im August 1998 die Erzdiözese Guayaquil in Ecuador. Die zehntägige Visite unterstreicht die engen Verbindungen zwischen der katholischen Kirche in Österreich und dem südamerikanischen Land.Im Fokus steht das Vikariat Daule unter Leitung des österreichischen Bischofsvikars Josef Heissenberger. Sieben österreichische Priester leisten im "Schwestern-Vikariat" Unterstützung und helfen der stark benachteiligten Bevölkerung.Kardinal Christoph Schönborn, der fließend Spanisch spricht, besucht Gemeinden und trifft den Erzbischof von Guayaquil, Juan Larrea Holguín.
Der Herbst 1998 bringt frischen Wind in die österreichische Radiolandschaft – und das gleich doppelt. Mit "Radio Maria" und "Radio Stephansdom" gehen zwei kirchliche Sender an den Start. Sie haben ganz eigene Konzepte und sprechen ein breites Publikum an.Trotz ihrer Unterschiede haben sie ein gemeinsames Ziel: Sie wollen Räume schaffen, in denen Glaube, Kultur und Gemeinschaft lebendig werden. Schönborn setzt große Hoffnungen in beide Initiativen.
Die Kirche in Österreich ist nach wie vor vom Kirchenvolks-Begehren geprägt und zeigt einen ausgeprägten Wunsch nach Wandel, wobei die unterschiedlichen Ansätze innerhalb der Kirche zu einer Spaltung führen.
In diesem Zusammenhang initiieren die Bischöfe den "Dialog für Österreich", zu dem Gläubige, Verbände, Parteien und Expertinnen zu einem Gesprächsprozess eingeladen sind. Die Stimmung ist ambivalent und wird von Aufbruchsstimmung und Skepsis geprägt. Im Rahmen zahlreicher Symposien zu Themen wie Fremdenfeindlichkeit, Medienmacht, Frauenarbeit und Armut finden intensive und vielfältige Debatten statt.
Als Höhepunkt mündet diese Entwicklung in einem Delegiertentag im Herbst 1998, an dem über 300 Menschen in zwölf Arbeitsgruppen zusammenkommen. Sie diskutieren Glaubensfragen, Priesterberufungen und den Umgang mit der Welt, um gemeinsame Lösungen zu finden. Bemerkenswert ist, dass sich unter den Teilnehmern sowohl Traditionsbewusste als auch Reformwillige befinden, die gemäß der alphabetischen Sitzordnung zusammengeführt werden. Dies resultiert in einer neuen Form der Wertschätzung, die trotz gegensätzlicher Ansichten eine gemeinsame Sehnsucht nach einer Kirche verdeutlicht, die sich öffnet.
Nach dem euphorischen Finale folgt jedoch Ernüchterung: Zwar werden zehn Projektgruppen zu Themen wie "Wiederverheiratet Geschiedene" oder "Frauen in Kirche und Gesellschaft" ins Leben gerufen, doch fehlt es an einer Steuerungsgruppe. Die Öffentlichkeitsarbeit bleibt spärlich, manche Reformideen versanden. Nichtsdestotrotz zeigt sich Erfolg: Das Ökumenische Sozialwort wird verfasst, die Jugendarbeit erfährt eine Belebung und der Sonntag erfährt eine Stärkung seiner Stellung.
Der "Dialog für Österreich" wird bis heute als mutiger Schritt betrachtet, da er unterschiedliche Lager an einen Tisch bringt und deutlich macht, dass Wandel möglich ist. Innerhalb der Bischofskonferenz herrscht Uneinigkeit über die angemessene Reaktion auf die klar artikulierten Wünsche des Volkes Gottes.
Der Ad-Limina-Besuch in Rom Ende 1998 wird davon überschattet. Die Bischofskonferenz zeigt sich dort uneins über den Dialog. Die öffentliche Wahrnehmung der Kirche in Österreich nimmt zunehmend Schaden. Es ist aus heutiger Sicht vor allem der Besonnenheit Schönborns zu verdanken, dass sich in der folge schließlich die Wogen glätten. Fortsetzung 1999
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