Das Jahr 2002 beginnt für Kardinal Christoph Schönborn mit einem wichtigen Zeichen für den interreligiösen Dialog. Ende Januar nimmt der Wiener Erzbischof an einem hochkarätigen christlich-jüdischen Treffen in Paris teil, organisiert vom European Jewish Congress. Hier ziehen führende Repräsentanten von Kirche und Judentum eine Bilanz über die Entwicklung ihrer Beziehungen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Mit dabei sind prominente Persönlichkeiten wie Kardinal Jean-Marie Lustiger, Kardinal Walter Kasper und der Erzbischof von Lublin, Jozef Zycinski. Auf jüdischer Seite sind Spitzenvertreter des Jüdischen Weltkongresses und des European Jewish Congress anwesend. Das Treffen in Paris wird zu einer eindrucksvollen Manifestation des christlich-jüdischen Verständnisses. Kardinal Schönborn zeigt sich beeindruckt von der offenen und konstruktiven Atmosphäre der Gespräche, in denen besonders die bahnbrechenden Gesten von Papst Johannes Paul II. gewürdigt werden. Der Wiener Erzbischof hebt in seinem Beitrag die immense kulturelle und intellektuelle Bedeutung der jüdischen Gemeinschaft Mitteleuropas hervor, insbesondere an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Ein zentraler Punkt der Diskussion ist die Bedeutung der Religion in einer zunehmend säkularisierten Welt.
Im Februar eröffnet Kardinal Christoph Schönborn im Wiener Dom- und Diözesanmuseum die Ausstellung „Ecclesia und Synagoga in der christlichen Kunst von 850 bis 2000“, die einen tiefen Einblick in die Darstellung des Verhältnisses von Christentum und Judentum in der Kunstgeschichte bietet.
Anfang März reist Kardinal Christoph Schönborn erstmals in den Libanon, um bei den Theologischen Tagen an der Katholischen Universität Kaslik über die Rolle des verstorbenen Theologen Jean Corbon bei der Entstehung des „Katechismus der Katholischen Kirche“ zu sprechen. Corbon, ein bedeutender Theologe und Wegbereiter der Abschnitte über Liturgie und Gebet im Katechismus, war Schönborn durch ihre gemeinsame Arbeit tief verbunden.
Ebenfalls im März entfacht der Karikaturenband „Das Leben des Jesus“ von Gerhard Haderer eine hitzige Debatte in Österreich, die weit über kirchliche Kreise hinausgeht. Kardinal Christoph Schönborn reagiert in einem Gastkommentar in der „Presse“ mit scharfer Kritik. Der Wiener Erzbischof beschreibt das Buch als respektlose Verhöhnung zentraler Glaubensinhalte. Für Schönborn geht es dabei nicht nur um den christlichen Glauben, sondern um grundlegenden Respekt vor dem Heiligen – ein Wert, der für das gesellschaftliche Miteinander unabdingbar sei. Haderer verteidigt sein Werk als satirische Auseinandersetzung mit kirchlichen Institutionen und erklärt, er wolle die Botschaft Jesu vor kirchlichen Deformierungen „in die Gegenwart retten“. Schönborn hingegen wirft dem Künstler vor, weit über legitime Kirchenkritik hinauszugehen und gezielt die Gefühle gläubiger Menschen zu verletzen.
„Ohne Ehrfurcht vor dem Heiligen wird bald nichts mehr heilig sein – auch nicht der Mitmensch“, warnt der Kardinal. Prominente wie der Publizist Günther Nenning loben Schönborns Mut, sich gegen den „Zeitgeist des kirchlichen Lächerlichmachens“ zu stellen, während andere Stimmen wie der evangelische Bischof Herwig Sturm Gelassenheit predigen. Peter Turrini, langjähriger Freund Schönborns, ergreift dagegen Partei für Haderer.
Am 4. Mai 2002 verwandelt sich der Wiener Stephansplatz in eine Bühne für den Glauben: Mit dem Startfest „Öffnet die Türen für Christus“ beginnt die „Internationale Großstadtmission“, eine einzigartige Initiative der Kardinäle Christoph Schönborn (Wien), Jean-Marie Lustiger (Paris), Godfried Danneels (Brüssel) und José da Cruz Policarpo (Lissabon). Ziel ist es, in Europas Metropolen den Glauben neu ins Gespräch zu bringen – direkt dort, wo die Menschen leben, in Cafés, Geschäften und auf den Straßen. Es ist der Auftakt eines Programms, das auf Dialog, Begegnung und eine hoffnungsvolle Botschaft setzt. Schon vor Beginn liegt eine besondere Atmosphäre über dem Stephansplatz. Gospelsongs und Musikperformances erfüllen die Luft, während Prominente wie Schauspielerin Elfriede Ott, Journalist Günther Nenning und Politiker Peter Marboe über ihre Erwartungen an die Kirche sprechen.
Die Kardinäle greifen diese Stimmung auf. Kardinal Schönborn mahnt, Europa nicht nur geografisch, sondern auch spirituell zu öffnen: „Wir haben gesehen, wie Menschen aufblühen, wenn sie die Türe zu Christus öffnen – Heilung geschieht, Beziehungen gelingen, Vergebung wird möglich.“ Kardinal Lustiger erinnert an die Europa-Vesper von 1983, die auf dem Heldenplatz ein starkes Zeichen der Hoffnung in einem damals geteilten Europa setzte. Heute, sagt er, gehe es um einen „zweiten Schritt“: die innere Freiheit. Kardinal Policarpo richtet den Blick auf die Jugend und fordert eine Kirche, die junge Menschen in ihrer Suche nach Geborgenheit und Sinn begleitet. Danneels betont, dass gerade in der Anonymität der Großstädte das Verlangen nach Gemeinschaft und Glauben wachse. Die Mission, die 2003 in Wien mit einem internationalen Kongress ihren Höhepunkt finden wird, soll in den kommenden Jahren auch Paris, Lissabon und Brüssel erreichen.
Der Erzbischof bricht am 1. Juli zu einer Reise nach Sambia auf. Sein Ziel ist die Unterstützung der Kirche in einer Region voller Herausforderungen und Hoffnung. In Mansa feiert er am 2. Juli den Abschlussgottesdienst einer nationalen Jugendwallfahrt. Weiter führt ihn die Reise nach Ndola, dem Zentrum des sambischen Copperbelt. Hier hält Schönborn einen eindringlichen Vortrag über die Glaubenskrise in der modernen Welt und inspiriert Priester und Katechisten im Rahmen eines großen Missionskongresses. Am 6. Juli eröffnet er in Kitwe das „Catholic Centre“, ein Pastoral- und Sozialzentrum, das durch österreichische Spendengelder ermöglicht wurde, und vor allem AIDS-Betroffenen helfen soll.
Nach seiner Rückkehr aus Sambia empfängt Kardinal Christoph Schönborn am 10. Juli im Wiener Erzbischöflichen Palais eine Delegation amerikanischer und kanadischer Rabbiner. Diese bereiten die im Oktober geplante Europa-Konferenz des „North American Board of Rabbis“ vor, die in Wien stattfinden soll. Die Konferenz in Wien soll ein Zeichen der Zusammenarbeit und des Dialogs zwischen Judentum und Christentum setzen.
Kardinal Christoph Schönborn hält bei den Salzburger Hochschulwochen 2002 einen leidenschaftlichen Vortrag zum Thema „Leben in Fülle“. Er ruft dazu auf, dem Appell von Papst Johannes Paul II. zu folgen: „Wähle das Leben.“ Dabei zeichnet Schönborn den Papst als unbeirrten Verteidiger der Unantastbarkeit des Lebens – vom ersten Moment bis zum natürlichen Tod – und als Gegenspieler einer „Kultur des Todes“, die Leiden abschaffen will und dabei die Leidenden selbst ausgrenzt. Mit Blick auf die Biowissenschaften fordert Schönborn ein neues Staunen über das Wunder des Lebens, dessen Existenz trotz seiner Unwahrscheinlichkeit ein unbegreifliches Geschenk ist. Der Mensch, sagt er, ist mehr als Teil der Schöpfung – er steht im Zentrum von Gottes Plan.
Im August 2002 trifft eine verheerende Flutkatastrophe Niederösterreich und das Kamptal mit voller Wucht. Kardinal Christoph Schönborn reagiert sofort, tief betroffen von den Bildern der Zerstörung. „In Zeiten der Not stand Österreich immer zusammen“, betont Schönborn und appelliert an die Solidarität der Menschen, die Spendenaktion der Caritas zu unterstützen. Schönborn selbst nutzt die Katastrophe, um zu einem Umdenken aufzurufen. Er mahnt, dass der Lebensstil und der Umgang mit der Umwelt die dramatischen klimatischen Veränderungen mitverursachen könnten. Doch er sieht auch Hoffnung: In schwer getroffenen Regionen erlebt er bewegende Zeugnisse des Zusammenhalts. Er fordert langfristige Hilfe, auch wenn die Schlaglichter der Medien verblassen, und erinnert daran, dass solche Naturkatastrophen weltweit Millionen Menschen treffen. „Wir müssen den Herrn der Schöpfung wieder um seinen Segen bitten“, mahnt der Kardinal, als er an die knapp verschonte Altstadt von Salzburg denkt. Fortsetzung: 2003
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