Im Februar 2003 reist Kardinal Christoph Schönborn nach Polen – ein Besuch, der sowohl theologisch als auch politisch von großer Bedeutung ist. Als Gast von Kardinal-Primas Jozef Glemp steht er mitten in Gesprächen über die historische Wiedervereinigung Europas durch den bevorstehenden EU-Beitritt von zehn Staaten und die bevorstehende Eröffnung des Mitteleuropäischen Katholikentags. Doch das Herzstück seiner Reise ist die Vorstellung der polnischen Ausgabe seines Buches „Christologie – Gott sandte seinen Sohn“.
Schönborn bricht Ende Februar zu einem Kurzbesuch nach Lissabon auf, der ganz im Zeichen der bevorstehenden Wiener Stadtmission steht. Er hält an der katholischen Universität von Lissabon einen Vortrag mit dem Titel „Der christliche Glaube in der Komplexität der heutigen Welt“.
Am 24. März stirbt Kardinal Groer im Krankenhaus von St. Pölten. In den Nachrufen kommen die ihm zur Last gelegten Verfehlungen höchstens in verklausulierter Form vor. Am 5. April zelebriert Kardinal Christoph Schönborn das Requiem für seinen Vorgänger in der Basilika Maria Roggendorf. In seiner Predigt erinnert der Kölner Erzbischof Joachim Meisner an die „dunkle Wolke“, die Groers letztes Jahrzehnt überschattet hat. Unter den Konzelebranten befinden sich Diözesanbischöfe wie Maximilian Aichern, Klaus Küng und Kurt Krenn, außerdem nehmen Kardinal Franz König, Kardinal Leo Scheffczyk sowie Landeshauptmann Erwin Pröll teil. Nach dem Libera, das Kardinal König spricht, setzt sich der Trauerzug zum etwa einen Kilometer entfernten Zisterzienserinnenkloster Marienfeld in Bewegung. Dort befindet sich die letzte Ruhestätte Kardinal Groers.
Die Wiener Stadtmission beginnt mit einer ungewöhnlichen, aber tief symbolischen Geste: Kardinal Christoph Schönborn öffnet in der Millennium City eine leuchtend rote Tür. Diese Tür, die von nun an durch die Straßen Wiens reisen wird, steht für Offenheit, Begegnung und eine Einladung, über „Gott und die Welt“ zu sprechen. Die Botschaft ist klar: Die Kirche will hinaus in die Stadt, zu den Menschen, dorthin, wo das Leben pulsiert. „Wir leben in einer Zeit, in der Türen durch Angst und Hass verschlossen werden“, sagt Schönborn. „Doch nur die Liebe kann die Türen zu den Herzen öffnen.“
Die Stadtmission ist eine Premiere in ihrer Form und ihrer Zielsetzung. Wien ist die erste von vier europäischen Metropolen, die sich an dieses mutige Experiment wagen. Die Kirche geht dorthin, wo man sie vielleicht nicht erwartet: in Einkaufszentren, Cafés, U-Bahn-Stationen und sogar in Beisln. Ziel ist es, das Evangelium nicht in den Kirchenmauern zu belassen, sondern mitten ins Leben der Stadt zu tragen. „Die Menschen haben Hunger nach Gott“, erklärt Schönborn, „und wir müssen lernen, darauf zu antworten.“
Der Auftakt am 23. Mai auf dem Stephansplatz ist ein Ereignis voller Energie und Begeisterung. Tausende Menschen haben sich versammelt, um die Eröffnung zu feiern. Musik, Tanz und ein typisch wienerisches Abendessen schaffen eine Atmosphäre, die von Freude und Gemeinschaft geprägt ist. Kardinal Schönborn und Bürgermeister Michael Häupl eröffnen offiziell die Stadtmission, während die rote Tür als Symbol für Offenheit und Neuanfang im Mittelpunkt steht. Eine Menschenkette um den Stephansdom wird zu einem bewegenden Zeichen der Verbundenheit und des Zusammenhalts.
Die nächsten Tage sind geprägt von einem breiten Programm, das in seiner Vielfalt beeindruckt. Über 1.000 Veranstaltungen in 110 Pfarren und unzähligen öffentlichen Räumen machen die Stadtmission lebendig. Tagsüber finden im Stephansdom Vorträge und Workshops statt, bei denen renommierte Referenten aus aller Welt die drängenden Fragen der Zeit behandeln: Familie, soziale Ausgrenzung, Politik und Spiritualität. Abends verlässt die Kirche ihre traditionellen Räume und geht zu den Menschen – in Cafés, Parks, U-Bahn-Stationen und sogar auf die Straßen. Es entstehen Begegnungen, die oft unerwartet, aber umso eindrucksvoller sind. Ein besonderer Höhepunkt ist das Jugendprogramm „Pop meets Faith“ am Stephansplatz. Stars wie Paddy Kelly, der rappende Priester Father Stan aus der Bronx und der Rockerpriester Guy Gilbert ziehen Hunderte junge Menschen an. Sie erleben, wie Glaube, Musik und Gemeinschaft eine kraftvolle Verbindung eingehen. Parallel dazu verwandelt sich der Schwedenplatz in eine „Chill-Out-Zone“, wo junge Menschen Konzerte, Shows und Gespräche genießen können. Die Botschaft ist klar: Der Glaube ist lebendig und hat einen Platz in der modernen Welt.
Kardinal Schönborn selbst ist während der Stadtmission oft mitten unter den Menschen zu sehen. Er besucht Cafés und spricht mit Passanten. „Gut, dass Sie da sind“, hört er immer wieder, und diese Begegnungen berühren ihn tief. „Die Distanz zwischen den Menschen und der Kirche wird geringer“, sagt er. Die Offenheit der Menschen zeigt ihm, dass die Mission ihr Ziel erreicht: eine neue Brücke zwischen Kirche und Stadt zu schlagen. Der Höhepunkt der Mission ist der Gottesdienst zu Christi Himmelfahrt im Stephansdom. Der Dom ist bis auf den letzten Platz gefüllt, als Schönborn mit Kardinälen aus ganz Europa zelebriert. „Die Welt braucht die Barmherzigkeit Gottes, um Hass und Krieg zu überwinden“, sagt er in seiner Predigt. „Die Menschen haben uns ermutigt, weiterzugehen.“ Die Idee, die Kirchen offener und einladender zu gestalten, nimmt Form an. „Mein Traum ist, dass die Kirchen in Wien wie der Stephansdom den ganzen Tag über offenstehen“, erklärt der Kardinal.
Kardinal Christoph Schönborn besucht auf Einladung von Kardinal Lubomyr Husar vom 31. August bis 3. September die Westukraine und hebt wiederholt hervor, wie wichtig es ist, die Beziehungen zwischen der Erzdiözese Wien und der griechisch-katholischen Erzeparchie Lemberg (Lwiw) weiter auszubauen. Er betont, dass Christen im derzeitigen Aufbruch der Ukraine aktiv an einem sozialen und gerechten Staat mitwirken sollen. Auf seinem Programm stehen eine feierliche Liturgie in der griechisch-katholischen Georgskathedrale, ein Vortrag an der Katholischen Universität Lemberg sowie ein Besuch im bedeutenden Basilianerkloster Kretschiw, wo 180 Novizen ausgebildet werden. Besonders eindrucksvoll ist der Abstecher zum Klymentij-Scheptyckyj-Lyzeum, das eine teilweise deutschsprachige Oberstufe und ein Internat beherbergt. Da viele Schülerinnen und Schüler aus armen Familien stammen, bleibt das Lyzeum auf Unterstützung aus dem Ausland angewiesen, vor allem aus Österreich.
Zurück aus der Ukraine, würdigt Kardinal Christoph Schönborn bei einem „Pro Oriente“-Symposion in Wien das jahrzehntelange Zeugnis der russisch-orthodoxen Kirche unter dem kommunistisch-atheistischen Regime. Er betont, dass die Gläubigen dort – trotz fehlender Möglichkeiten zu sozialen Werken – ihre Nächstenliebe oft bis zum Martyrium leben. Genau dieses „kostbare Zeugnis der Märtyrer“, so Schönborn, bleibt auch heute von größter Bedeutung.
Der aus Moskau angereiste Metropolit Kirill von Smolensk erläutert auf dem Symposion die neue Sozialdoktrin seiner Kirche. Er beschreibt, wie diese bewusst in den öffentlichen Dialog tritt und sogar „zivilen Ungehorsam“ thematisiert. Ein Satz dazu im Dokument löst zunächst Bedenken im Kreml aus. Kirill verweist jedoch darauf, dass bereits die frühen Christen unter römischer Herrschaft Opfer verweigern und damit im Grunde ebenfalls „zivilen Ungehorsam“ praktizieren. Das russische Parlament, aber auch muslimische und jüdische Vertreter reagieren laut Kirill insgesamt positiv auf das Dokument. Kardinal Schönborn erinnert an das Jesuswort „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ und sieht darin den Maßstab für soziale Verantwortung. Fortsetzung 2004
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