Im Jänner 2004 nimmt Kardinal Christoph Schönborn an einer Begegnung von katholischen Kardinälen und orthodoxen Rabbinern in New York teil. Im Museum of Jewish Heritage am Battery Park diskutieren die Teilnehmer unter dem Thema „Was ist das wichtigste Gebot?“. Schönborn betont im Interview mit der „New York Times“, dass Katholiken vom orthodoxen Judentum lernen können, wie Glaube und gesellschaftliches Engagement innerlich zusammengehören.
Gemeinsam besuchen sie die Yeshiva University und gedenken der Opfer des 11. September am Ground Zero. Unter den Teilnehmern befinden sich prominente Persönlichkeiten wie Kardinal Jean-Marie Lustiger und der israelische Großrabbiner Meir Lau. Die jüdische Vertreter erwarten sich von den Katholiken einen energischeren Einsatz gegen den aufkommenden Antisemitismus .
Am 13. März 2004 verstirbt Kardinal Franz König im Alter von 99 Jahren.Mit ihm geht für viele Katholiken und Nicht-Katholiken eine Ära zu Ende. Noch am Abend des Sterbetages feiert Kardinal Christoph Schönborn im Wiener Stephansdom die erste Seelenmesse für seinen verstorbenen Vorläufer. „Kardinal König hat aus der tiefen Quelle des Glaubens gelebt“, betont Schönborn und zitiert Königs abschließende Worte der letzten Messe: „Daraus habe ich gelebt“. Kardinal Schönborn erinnert König als unermüdlichen Seelsorger, der in jedem Menschen das Bild Gottes sah und somit zahlreiche Pfarrgemeinden besuchte sowie unzählige Priester begleitete. „Er war Seelsorger bis zum Schluss“, so Schönborn weiter und hebt hervor, dass König trotz aller Herausforderungen stets an die Auferstehung glaubte und den Tod nicht als letztes Wort ansah. Die Messe wird von vielen hundert Gläubigen besucht, darunter Bundespräsident Thomas Klestil. Schönborn erwähnt König lebenslanges Engagement für die Ökumene und den Dialog zwischen den Religionen. Er weist auf Königs maßgebliche Rolle bei der Konzilserklärung „Nostra Aetate“ hin, die die Beziehungen zwischen Kirche und Judentum neu definierte. „Kardinal König hat uns gezeigt, dass Glaube und gesellschaftliches Engagement Hand in Hand gehen“, sagt Schönborn. Die internationale Gemeinschaft zeigt tiefe Trauer.
Hunderte Kondolenzschreiben erreichen Schönborn aus allen großen Kirchen und Religionsgemeinschaften, insbesondere aus der Orthodoxie, dem Judentum und dem Islam, selbst vom Dalai Lama. Metropolit Kirill von Moskau würdigt Königs ökumenische Stiftung „Pro Oriente“ und seinen unermüdlichen Einsatz für Frieden und Versöhnung. Auch der serbisch-orthodoxe Patriarch Pavle betont Königs Vision der christlichen Einheit.
Beim Requiem am 27. März verwandelt sich der Stephansdom in einen Ort der internationalen Bischofsversammlung. Kardinal Joseph Ratzinger, der Dekan des Kardinalskollegiums, leitet die Messe, während zahlreiche Kardinäle aus ganz Europa teilnehmen. Orthodoxe und evangelische Vertreter sind ebenfalls anwesend, was die Brückenbauerrolle Königs eindrucksvoll unterstreicht. Kardinal Schönborn selbst empfindet den Verlust persönlich schwer. „Es ist ein großer Verlust für unsere Kirche und unser Land“, sagt er und betont die Notwendigkeit, Königs Erbe weiterzuführen. „Wir bleiben seinem Auftrag treu, den Glauben zu pflegen und Brücken der Verständigung zu bauen.“
Am 21. Mai findet in Mariazell der Höhepunkt des Mitteleuropäischen Katholikentags unter Anwesenheit des EU- Ratspräsidenten Romano Prodi, Bundespräsident Thomas Klestil und zahlreichen Vertretern des öffentlichen Lebens aus ganz Europas tatt: Mehr als 100.000 Pilger aus den Teilnehmerländern der Region versammeln sich zu einem großen Festgottesdienst, um gemeinsam für Versöhnung, Einheit und die Bewahrung ihrer christlichen Wurzeln zu beten.
Die Wallfahrt beginnt mit einer Prozession, bei der die Gnadenstatue von Mariazell feierlich von der Basilika auf das Festgelände gebracht wird. Trotz des wechselhaften, teils unfreundlichen Wetters ist die Stimmung unter den Anwesenden hoffnungsvoll und verbunden mit einem klaren Statement für ein gemeinsames Europa im Sinn seiner Gründerväter.
Kardinal Christoph Schönborn richtet in seiner Predigt einen eindringlichen Appell an die Europäer, die „alten Mauern“ von Vorurteilen, Misstrauen und Schuldzuweisungen endgültig zu überwinden. Er erinnert daran, dass Europa gerade im 20. Jahrhundert schmerzhafte Erfahrungen von Nationalsozialismus und Kommunismus durchleben musste und bis heute mit den Folgen dieser Vergangenheit ringt. Indem er auf die Opfer dieser totalitären Systeme verweist, betont Schönborn die Bedeutung jener, die ihren Glauben und die christlichen Werte trotz Repressionen lebendig gehalten haben. „Wir leben aus der Hoffnung, dass diese Opfer neue Früchte tragen“, erklärt er.
In diesem Geist wirbt Schönborn für eine europäische Gemeinschaft, die Vielfalt nicht als Gefahr, sondern als Bereicherung versteht. Er ruft dazu auf, die „Kraft von oben“ zu erbitten, um fremde Sprachen, Kulturen und Religionen mit offenem Herzen anzunehmen. So könne ein Europa entstehen, in dem alle Menschen in Würde miteinander leben. Wesentlicher Bestandteil dieses Fundaments sind für den Kardinal der Schutz des Lebens, die Solidarität mit Schwächeren und der Erhalt des arbeitsfreien Sonntags als Raum für Begegnung und Gottesdienst.
Der plötzliche Tod von Bundespräsident Thomas Klestil am 6. Juli löst in Österreich Betroffenheit aus, auch bei seinen politischen Gegnern und Kritikern. Beim Requiem im Wiener Stephansdom würdigt Kardinal Christoph Schönborn den Verstorbenen als „Weltbürger, Europäer und Patriot“, der sein Land in die Europäische Union führte und die Integration ostmitteleuropäischer Staaten engagiert unterstützte. Zahlreiche hochrangige Trauergäste aus aller Welt bekunden ihre Anerkennung für Klestils unermüdlichen Einsatz.
Der Wiener Erzbischof erinnert zugleich an Klestils familiäre Herausforderungen und mahnt, niemandem ein vorschnelles Urteil zu fällen. Er verweist auf die prägenden Einflüsse einer tiefgläubigen Mutter und den Zusammenhalt der Salesianer-Pfarre in Wien-Erdberg, die Klestils Lebensweg maßgeblich stark begleitete.
Nur wenige Tage nach dem Staatsbegräbnis für Bundespräsident Thomas Klestil dringen schockierende Details aus dem St. Pöltner Priesterseminar an die Öffentlichkeit. Mehrere Seminaristen und ein Subregens sind auf anzüglichen Fotos zu sehen, zusätzlich tauchen tausende kinderpornografische Dateien auf. Die Empörung ist gewaltig, die Medien berichten unablässig, und in der Bevölkerung breitet sich Fassungslosigkeit aus. Bischof Kurt Krenn von St. Pölten, versucht zunächst, die Vorkommnisse zu bagatellisieren. Er spricht von „Bubendummheiten“ und wirft den Medien „Übertreibung und Mache“ vor. Innerhalb der österreichischen Kirche regt sich dagegen massiver Protest: Viele katholische Gläubige sind entsetzt darüber, wie der Bischof mit dem Skandal umgeht.
Kirchenvertreter und Bischofskollegen kritisieren Krenns fehlendes Problembewusstsein; die Rufe nach personellen Konsequenzen werden lauter. Besondere Aufmerksamkeit richtet sich auf die Hintergründe der Causa: In St. Pölten finden sich offenbar Kandidaten, die in anderen Diözesen wegen erheblicher Eignungszweifel abgelehnt wurden. Das Vorhandensein Tausender kinderpornografischer Bilder wirft zudem die Frage auf, ob der Diözesanbischof seine Leitungsverantwortung vernachlässigt hat.
Kardinal Christoph Schönborn, Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz, bringt seinen Unmut unmissverständlich zum Ausdruck. Er sagt, er sehe nicht ein, „warum die Katholikinnen und Katholiken in Österreich sich das antun müssen“. Gleichzeitig gibt er zu erkennen, dass Bischofskonferenz und Apostolischer Nuntius bereits seit Monaten versucht haben, in Rom auf mögliche Missstände hinzuweisen. Den späten Eingriff des Vatikans bedauert Schönborn merklich: Er könne seinen „Zorn“ kaum verbergen, zumal sich die Krise nun zu einem schweren Vertrauensverlust in Kirche und Priesteramt ausweite. Kirchliche Beobachterinnen und Beobachter sprechen von einer katastrophalen Außenwirkung: Der St. Pöltner Skandal verunsichert Seelsorger, Gläubige und jene, die ihren Kindern einen sicheren Raum in kirchlichen Einrichtungen bieten wollen. Nun gilt es, Transparenz zu schaffen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen, um weiteren Schaden von der Kirche abzuwenden.
Der Vatikan bestellt den Vorarlberger Bischof Klaus Küng zum Apostolischen Visitator. Am 23. Juli treffen sich alle österreichischen Bischöfe zur informellen Krisensitzung in Mariazell. Schönborn betont, dass diese Affäre den guten Geist des mitteleuropäischen Katholikentages nicht beinträchtigen werde. Die Krise endet erst mit der vorübergehenden Schließung des Seminars, der Emeritierung Bischof Krenns und der Ernennung von Klaus Küng zum neuen Bischof von St. Pölten am 7. Oktober.
Wenige Tage zuvor, am 3. Oktober hatte Papst Johannes Paul II. in Rom den letzten österreichischen Kaiser Karl I. in das Verzeichnis der Seligen aufgenommen.
Die St. Pöltner Krise überschattet das kirchliche Leben noch einige Monate. Vor allem Sympathisanten des emeritierten Bischofs polemisieren gegen dessen Nachfolger und die Bischofskonferenz, insbesondere gegen deren Vorsitzenden . Dieser führt Küng am 29.11. in sein neues Amt ein.
Am 26. Dezember 2004 wütet im Indischen Ozean einer der verheerendsten Tsunamis der jüngeren Geschichte. Ganze Küstenregionen werden zerstört, unzählige Menschen verlieren ihr Leben, Millionen stehen vor dem Nichts.
Und am Ende – der Tsunami
Kardinal Christoph Schönborn ist eng mit Erzbischof Malcolm Ranjith aus Sri Lanka befreundet, dessen Familie selbst von der Katastrophe betroffen ist. Trotz dieses schrecklichen Ereignisses entscheidet sich Schönborn, seine seit längerer Zeit geplante Reise nach Indonesien und Osttimor anzutreten.
Am Flughafen Wien-Schwechat erklärt er, „wir sind alle aufgerufen, Solidarität zu zeigen“. Er verweist auf bereits angelaufene Hilfen der Caritas Österreich und regt weitergehende Spendenaktionen nach dem Vorbild von „Nachbar in Not“ an. In Indonesien, wo vor allem der Norden der Insel Sumatra und die katholisch geprägten Nias-Inseln stark betroffen sind, möchte Schönborn besonders verwüstete Gebiete besuchen. Zugleich hält er an der islamischen „Syarif Hidayatullah“-Universität in Jakarta einen Vortrag zum interreligiösen Dialog und trifft sich mit kirchlichen und staatlichen Verantwortungsträgern. Danach reist er nach Osttimor, um in der Kathedrale von Dili gemeinsam mit Bischof Alberto Ricardo da Silva einen Neujahrsgottesdienst zu feiern. Fortsetzung 2005