Wien, 02.05.2023 – Am Ende einer langen, geduldig ertragenen Krankheit ist der Wiener Weihbischof Helmut Krätzl im 92. Lebensjahr verstorben. Sein Zustand hatte sich zu Beginn letzter Woche deutlich verschlechtert, geistig blieb er bis zuletzt hellwach.
Helmut Krätzl war ein außerordentlich geschätzter Seelsorger, einer der wichtigsten Mitarbeiter Kardinal Franz Königs und seit 46 Jahren Weihbischof der Erzdiözese Wien. Er setzte sich für die konsequente Umsetzung des Zweiten Vatikanischen Konzils, für eine den Menschen nachgehende Seelsorge, für ökumenische Verständigung, für den Dienst der Kirche an der Gesellschaft von heute und für eine an echten Werten orientierte Bildung und Erziehung ein.
Wiens Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn: „Mit Betroffenheit, aber vor allem mit Dankbarkeit, denke ich an unseren Weihbischof Dr. Helmut Krätzl, der uns heute, kurz nach dem ,Sonntag des guten Hirten‘ ins Haus des Vaters vorausgegangen ist. Ich bin ihm für sein vielfältiges und loyales Wirken in unserer Kirche, an deren Leben er bis zuletzt interessiert und aufmerksam teilnahm, von Herzen dankbar. Sein Leben hat er ganz der Verkündigung der frohen Botschaft gewidmet. Er liebte die Kirche – und litt auch mit ihr. Die große Welle der Sympathie und Gebetsverbundenheit so vieler in diesen, seinen letzten irdischen Tagen ist ein beeindruckendes Zeugnis für seine Verbundenheit mit den Menschen in unserer Erzdiözese und weit darüber hinaus.“
Der Wiener Erzbischof weist weiters auf den Text hin, den Weihbischof Krätzl als 90jähriger über sein eigenes Sterben veröffentlicht hat: „Der Weihbischof schrieb damals: ,Rückblickend werde ich mich an die vielen Zeichen der Gottesliebe und Gottesmacht in meinem Leben erinnern, die Gott durch mich und für andere gewirkt hat.‘ – Gemeinsam mit unserem verstorbenen Weihbischof dürfen wir alle auf sein reiches Leben und Wirken dankbar zurückblicken und sagen: Es ist vollbracht! Im Gebet bleiben wir über den Tod hinaus mit ihm verbunden und behalten ihn als mutigen, menschenzugewandten, kritischen und demütigen Christen und Bischof im Gedächtnis.“
Weihbischof Helmut Krätzl wird nach einem Requiem im Stephansdom in der Domherrengruft beigesetzt werden. Der Zeitpunkt der Trauerfeiern muss erst festgelegt werden.
Helmut Krätzl wurde am 23. Oktober 1931 als jüngstes von vier Geschwistern in Wien geboren. Schon im Alter von vier Jahren hielt ihn sein Seelsorger für reif, zur Kommunion zu gehen. Er wuchs in eine lebendige Kirche hinein, die ihm auch in den Schwierigkeiten der Kriegs- und NS-Zeit Halt und Haltung bietet. Es folgten der Eintritt ins Wiener Priesterseminar und seine Priesterweihe durch Kardinal Theodor Innitzer am 29. Juni 1954, mit kaum 23 Jahren.
Sein geistliches Wirken begann Krätzl als Kaplan in Baden bei Wien. Der neuernannte Wiener Erzbischof Franz König holte Krätzl 1956 nach zwei Jahren Seelsorgetätigkeit in Baden-St. Stephan als Zeremoniär an seine Seite. 1959 erwarb Krätzl in Wien sein erstes Doktorat in Theologie, 1964 erfolgte das zweite im Fach Kirchenrecht.
Von einem schweren Unfall auf dem Weg zum Begräbnis des Zagreber Erzbischofs Alojzije Stepinac 1960, zu dem er König begleitetet hatte, erholte er sich nur langsam. Der Erzbischof sendete ihn in der Folge zum Studium nach Rom. In dieser Zeit durfte er auf dem 1962 begonnenen Konzil als Stenograph mitarbeiten und gewann so Einblicke aus erster Hand in das Konzilsgeschehen.
Die Zeit nach dem Konzil verteidigte Krätzl immer mit Nachdruck gegen jede abwertende Rede von „Krisenzeit“ eindeutig als Aufbruchsstimmung. In Österreich trat Krätzl 1964 sein Amt als Pfarrer in Laa an der Thaya an, welches er bis 1969 innehatte. Bei der Wiener Diözesansynode 1969/1971 ebnete Krätzl mit seinem Referat über die pastoralen Gremien den Weg für eine Verständigung zwischen jenen Synodalen, die eine totale Gremialisierung der Kirche befürchteten, und den Anhängern einer Demokratisierung auf allen Ebenen.
Kardinal König bestellte Krätzl am 1. September 1969 zum Ordinariatskanzler der Erzdiözese Wien. In dieser Funktion, die er bis 1980 innehatte, bemühte sich Krätzl vor allem um eine „praxisorientierte Handhabung“ der kirchenrechtlichen Vorschriften und um die Förderung einer erneuerten Sakramentenpastoral nach den Leitlinien des Zweiten Vatikanischen Konzils.
Papst Paul VI. ernannte den 46-jährigen Helmut Krätzl am 30. September 1977 zum Weihbischof für die Erzdiözese Wien. Kardinal König weihte Krätzl gemeinsam mit Florian Kuntner (+ 1994) am 20. November 1977 im Wiener Stephansdom zum Bischof. Krätzls Wahlspruch lautete „In der Kraft Gottes“. Diese Bibelstelle stammt aus dem Zweiten Timotheus-Brief (Kapitel 1, Vers 8). Paulus ermutigt darin seinen Schüler Timotheus, in allen Prüfungen des Lebens und in seiner schweren Aufgabe standzuhalten.
Dazu sagte Weihbischof Krätzl: „Als ich gehört habe, dass ich Weihbischof werden soll, was ich mir nicht gewünscht habe und auch ein bisschen mit Angst entgegengesehen habe, da habe ich mir gedacht: Dort steht, dass Gott die Kraft gibt zu dieser Aufgabe des Timotheus. Das passt gut für meine Berufung, ich vertraue und verlasse mich auf die Kraft Gottes. Und diese Kraft Gottes habe ich sehr oft gespürt. Immer wenn es schwierig geworden ist, habe ich darauf vertraut, dass mir Gott Kraft gibt. Bei allen Umwegen den richtigen Weg zu finden, auch wenn es vielleicht schwer ist.“
Von 1981 bis 1985 übte Weihbischof Krätzl die Funktion des Generalvikars der Erzdiözese Wien, der wichtigsten Verwaltungsposition der Diözese nach dem Erzbischof, aus. Nach dem Rücktritt von Kardinal König als Erzbischof von Wien wurde Krätzl im September 1985 vom Wiener Domkapitel zum Diözesanadministrator der Erzdiözese Wien gewählt, eine Funktion, die er bis zum Amtsantritt des neuen Erzbischofs Hans Hermann Groër am 14. September 1986 innehatte. Kardinal Groër ernannte Krätzl 1987 zum Bischofsvikar für die Bereiche Erwachsenenbildung und Priesterfortbildung. Diese Verantwortung behielt er auch unter Erzbischof Christoph Schönborn bis zum Jahr 2004. Von 2004 bis zu seiner Emeritierung 2008 war Weihbischof Krätzl Bischofsvikar für die ökumenischen Fragen.
Zwanzig Jahre hindurch war Krätzl in der österreichischen Bischofskonferenz „Schulbischof“ und damit zuständig für den Religionsunterricht, die Privatschulen und die Schulpolitik. Bischof Krätzl war im Rahmen der Österreichischen Bischofskonferenz auch für die Erwachsenenbildung, das Katholische Bibelwerk und das Seminar für Kirchliche Berufe zuständig. Von 1993 bis 2009 war er Präsident der 1957 auf Initiative der Kardinäle Franz König und Stefan Wyszynski gegründeten kirchlichen Stiftung „Janineum“, die einen Beitrag zum geistigen Austausch und zur Völkerverständigung in Europa leistete. Das Referat „Ökumene“ teilte er sich mit Kardinal Christoph Schönborn.
Am 6. März 2008 nahm Papst Benedikt XVI. das Rücktrittsgesuch von Weihbischof Helmut Krätzl an. Der Weihbischof hatte zu seinem 75. Geburtstag im Jahr 2006, wie vom Kirchenrecht vorgesehen, seinen Rücktritt eingereicht.
Auch nach seiner Emeritierung 2008 blieb Helmut Krätzl aktiver Seelsorger, viel gehörter Zeitzeuge für das Zweite Vatikanische Konzil und führte im Namen des Erzbischofs noch viele Jahre lang Pfarrvisitationen und zahlreiche Firmungen durch. In den letzten Jahren verringerten zunehmende gesundheitliche Beschwerden die Möglichkeiten seines öffentlichen Wirkens. Ungebrochen jedoch blieb seine wache und hellsichtige Anteilnahme am Leben der Kirche.
Von der Relevanz der Botschaft Jesu und der Kirche – auch für die Zukunft – war Helmut Krätzl Zeit seines Lebens überzeugt. Gleichzeitig war ihm bewusst, dass Glaube und Gesellschaft heute in einem ungleich komplizierteren Verhältnis zueinanderstehen, als das in seiner eigenen Jugendzeit war. Jungen Menschen gab er stets drei Fragen mit: Wer bin ich? Was sind meine Fähigkeiten? Wo kann ich mich am besten einbringen?
Helmut Krätzl, dessen persönlicher Glaubensweg mit dem Erleben der Eucharistiefeier begonnen hat, nahm im Alter allen körperlichen Gebrechen zum Trotz jeden Sonntag am Gottesdienst im Stephansdom teil - mitten unter den Gläubigen, wo er sich sein Leben lang als Priester und Bischof am wohlsten gefühlt hat.
Portraitfotos von Weihbischof Helmut Krätzl finden Sie bei unseren Pressefotos.
Dr. Michael Prüller
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