Mit Beginn der Coronapandemie ist der Kirchgang allgemein enorm zurückgegangen umso mehr auch bei den Jugendlichen. Wie reagiert die Kirche darauf und was müsste getan werden, um die Jugend nicht komplett zu verlieren?
Unter der Pandemie haben junge Menschen überdurchschnittlich gelitten. Umso größer war die Sehnsucht danach, einander wieder real zu begegnen. Viele kirchliche Angebote haben darauf reagiert und auch davon profitiert wie z. B. Jugendlager.
Im Bereich der Liturgie kam es nicht nur bei den jungen Menschen, sondern bei allen zu einem anhaltenden Fernbleiben. Jetzt ist es wichtig, junge Menschen erleben zu lassen, dass sie von der Mitfeier eines Gottesdienstes einen persönlichen Mehrwert haben, darauf kommt es an. Und auch darauf, dass sie von Erwachsenen erleben, dass die Feier der Sonntagsmesse nicht optional, sondern konstitutiv ist. Das Vorbild der Erwachsenen ist essentiell, und weil das (schon seit längerem) weggebrochen ist, ist Kinder- und Jugendpastoral so schwierig geworden.
Weiters braucht die Jugend jugendgerechte Gottesdienstangebote. Junge Menschen haben Sehnsucht, aber die wenigsten Gottesdienste sprechen sie an. Spezielle Jugendgottesdienste, Anbetungsstunden, Lobpreis etc. werden von vielen jungen Menschen gesucht und geschätzt. Unterschiedliche Angebote für Jugend und Erwachsene sind wichtig.
Eine für die Jugend hilfreiche Frucht der Pandemie ist der verstärkte Umgang mit digitalen Medien, auch in der Kirche. Unzählige kirchliche Angebote werden im Internet beworben, gestreamt oder gar durchgeführt. Kirchliche Präsenz in der virtuellen Welt ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Das ist auch wichtig, aber bei Weitem nicht ausreichend.
In einer Zeitschrift des Österreichischen Alpenvereins las ich unlängst das Zitat einer 13-Jährigen: „Wer nicht auf TikTok ist, spricht nicht mit uns. Wer nicht mit uns spricht, der existiert für uns auch nicht.“
Was heißt so eine Wortmeldung für die Seelsorge? Ich höre einen zweifachen Anruf: Erstens kirchliche Präsenz auf TikTok etc. ist wichtig, denn die nächsten Generationen werden Beziehung und Kontaktaufnahme ganz eng mit der Nutzung Sozialer Medien verbinden. Darauf müssen wir als Kirche reagieren. Zweitens: die Notwendigkeit, mit jungen Menschen über ihr Leben mit der digitalen Welt ins Gespräch zu kommen. Vermutlich ist Einsamkeit ein großes Thema, denn TikTok stillt das Bedürfnis nach Kommunikation und Geborgenheit nur sehr oberflächlich. Auch darauf ist zu reagieren. Nach meiner Beobachtung geschieht das in erster Linie im Religionsunterricht, der nach wie vor einen großen Prozentsatz der Jugendlichen erreicht und oft verborgen eine überaus wertvolle seelsorgliche Arbeit leistet!
Hilfreich sind natürlich auch Jugendleiter/innen, die religiöse Angebote mit den Jugendlichen erarbeiten und gestalten, Jugendliche begleiten, für Gespräche zur Verfügung stehen und Gemeinschaft stiften!
Die Kirche ist zu wenig attraktiv für die Jugend, was müsste hier verändert werden?
Wenn wir von „der Jugend“ sprechen, ist das ziemlich unscharf, weil die jungen Menschen in unserem Land eine sehr heterogene Gruppe darstellen. Gemeinsam ist ihnen nicht einmal das Alter, denn es handelt sich um Menschen von ca. 14 bis 30 Jahren. Ihre Geschmäcker und Vorlieben unterscheiden sich je nach Gruppe. Allen ist beispielsweise Musik wichtig, aber welche Musik? Da gibt es enorme Unterschiede in der Beurteilung. Man spricht von „Milieus“. Das macht es schwierig. Denn was die einen attraktiv finden, ist für die anderen abschreckend, ganz besonders in Bezug auf die Ästhetik, aber auch inhaltlich.
Aus diesem Grund plädiere ich dafür, nicht die Jugend als ganze in den Blick zu nehmen, sondern Angebote auf Milieus zuzuschneiden. Die Werbung hat das längst erkannt, wir in der Kirche zu wenig.
Ich erkenne drei Milieus, die von der Kirche angesprochen werden: Das sind die konservativ-bürgerlich orientierten Jugendlichen, die etwa gerne ministrieren oder sich sogar geistlich vertiefen.
Für sie gibt es Angebote in den Pfarren und von vielen Bewegungen und neuen Gemeinschaften, z. B. die großen Loretto-Pfingstfeste. Von diesen Veranstaltungen fühlen sich auch Jugendlichen aus dem adaptiv-pragmatischen Milieu angesprochen. Das postmaterielle Milieu wird vor allem von der Katholische Jugend (KJ) angesprochen. Für die anderen in der Literatur beschriebenen Milieus sehe ich leider kaum Angebote, das sollte sich ändern.
Wie wirkt sich die die Zusammenlegung der Pfarren in Seelsorgeräume auf die Kinder- und Jugendarbeit vor Ort aus?
Auf die allermeisten Jugendlichen haben Zusammenlegungen überhaupt keinen Einfluss, weil sie mit der Pfarre gar nicht so verbunden sind. Auf die wenigen übrigen wirken sie unterschiedlich, aber mehrheitlich positiv: Es mag zwar manche geben, die sich im großen Raum weniger beheimatet fühlen, aber gerade die jungen Menschen genießen es üblicherweise, in größeren Radien und Gruppen unterwegs sein zu können. Die Qualität der Angebote steigt jedenfalls im größeren Raum.
Viele Jugendliche treten aus der Kirche aus, wenn sie die erste Vorschreibung zur Kirchensteuer erhalten. Ist dies Ihrer Meinung nach der Hauptgrund?
Da würde ich zwischen Ursache und Anlass unterscheiden. Ja, der Anlass für den Kirchenaustritt ist oft die erste Kirchenbeitragsvorschreibung, die Ursache liegt aber viel tiefer: Wenn Menschen den Bezug zur Kirche verloren haben, sie ihnen „nichts bringt“, ist es nur folgerichtig, dass sie dafür nichts zahlen wollen. Das Problem ist aber nicht die Zahlungsunwilligkeit, sondern der fehlende Mehrwert für die jungen Menschen. Hier hätte die Firmvorbereitung einen Auftrag, Jugendliche zu begeistern, weiter auf dem Glaubensweg zu begleiten und mit wertvollen und relevanten Angeboten vertraut zu machen.
In der Erzdiözese Wien bekommen 18-jährige einen Willkommensbrief von der Kirchenbeitragsstelle, ohne Zahlungsaufforderung, dafür aber mit einem kleinen Geschenk. In dem Brief wird das System des Kirchenbeitrags erklärt und der Erlagschein avisiert. Das halte ich für einen guten Weg, um nicht den Erstkontakt gleich mit der finanziellen Forderung zu verbinden. Dennoch treten leider allzu viele aus, weil sie eben längst die Bindung verloren haben.
Wie sehen und erleben Sie allgemein die Situation der Jugend heute?
Ich nehme wahr, dass junge Menschen unter vielfältigem Druck stehen. Sie leiden darunter wesentlich mehr, als das in meiner Jugendzeit der Fall war. Ich denke nicht nur an schulischen Druck, sondern an sozialen Druck vom Freundeskreis (verstärkt durch das Internet und seine konsumistischen Mechanismen), an Erfolgsdruck von Seiten des Elternhauses oder der Wirtschaft, an Beziehungsdruck, der sich vor allem aus fehlenden Vorbildern ergibt, weil die wenigsten jungen Menschen in Elternhäusern aufwachsen, die sie selbst als vorbildlich erleben.
Somit nehme ich ein riesiges seelsorgliches Betätigungsfeld für die Kirche wahr, weil viele junge Menschen leiden und auf der Suche sind. Zugleich wissen wir aus Wertestudien, dass sie suchen, was wir inhaltlich anbieten: Sinn, geglückte Beziehungen, Wertschätzung und Lebenshilfe.
Die Ernte ist groß, aber es gibt (aus unterschiedlichen Gründen) nur allzu wenige Arbeiter. Alle, denen die Zukunft der Jugend am Herzen liegt, bitte ich, das Wort Jesu zu beherzigen: „Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden!“ (Mt 9,38)