Ich, Mag. Lauringer, würde im SONNTAG verkürzt fragen:
Eine weltumspannende Kirche sollte sich auch mit weltweiten Problemen befassen. Das sind etwa: Kriege, Überbevölkerung, Naturzerstörung, Klimakrise. Wie soll die Kirche für jüngere Menschen wieder attraktiver werden?
Antwort:
Vor einigen Wochen gab es in dieser Zeitung eine interessante Leserbriefdebatte: Jemand kritisierte das gesellschaftspolitische Wirken der Kirche außerhalb ihrer spirituellen und gottesdienstlichen Kernkompetenz, der Entgegner meinte, dass gerade dieses politische Engagement die Glaubwürdigkeit der spirituellen Botschaft der Kirche ausmache.
Ich bin davon überzeugt, dass wir beides brauchen, und zwar zyklisch miteinander verbunden: Die Basis für das Wirken Jesus Christi war seine Beziehung zum Vater. Deshalb hat er nächtelang gebetet und von Ihm erzählt. Aus dieser lebendigen Verbundenheit mit dem Vater hat er Menschen geheilt, genährt oder ihnen sonstiges Gutes getan (Hochzeit zu Kana, reicher Fischfang etc.). Und die Eindrücke aus den Begegnungen mit den Menschen hat er wieder in das Gebet genommen, das ihm wiederum Kraft für die nächsten Begegnungen geschenkt hat. Und so fort…
So sehen wir es auch bei den Heiligen: Denken Sie an Franz von Assisi oder Mutter Teresa: Sie haben gebetet UND handfest geholfen. Dabei hatten sie durchaus Weitblick, gründeten Orden mit vielen Niederlassungen und schufen hilfreiche Struktur für die Sorge um die Ärmsten.
Die Sternstunden der Kirchengeschichte bestanden immer in der Verbindung von lebendiger Spiritualität und dem Einsatz für die Benachteiligten. Die Verbindung ist das Entscheidende. Nicht „entweder-oder“, sondern „sowohl, als auch“!
Was das für uns heute heißt? Ich begrüße alle Gebetsinitiativen, alle spirituellen Vertiefungen, alle Hinwendung zu Kontemplation, Anbetung, Verinnerlichung. UND ich begrüße das gesellschaftspolitische Engagement der Gläubigen, wenn es ihnen um das Wohl der Ärmsten, und das sind auch die nächsten Generationen, weil sie noch keinen Einfluss nehmen können, geht.
Aus diesem Grund gehe ich zu Fridays-for-Future Demonstrationen, zum Marsch für das Leben und zu Lobpreisgottesdiensten. Ich bete um die Bewahrung der Schöpfung und schreibe an Bundesministerin Gewessler. Ich faste für den Frieden und spende für die Ukraine.
Und schließlich danke ich allen, die sich wie unsere engagierten Leser/innen Gedanken darüber machen, was der Kern des Auftrags der Kirche ist.
+Stephan Turnovszky
Weihbischof Stephan Turnovszky Kolumne „Brückenbauer“, Der Sonntag, 2022-11