Natürlich sind auch mir die Menschen am liebsten, die im Einklang mit ihren moralischen Grundsätzen leben. Das sprichwörtliche „Wasser Predigen und Wein Trinken“ meint die berechtigte Kritik am Verhalten von Menschen, die für hohe Ansprüche stehen. Dazu gehören auch Bischöfe, auch ich. Da werde ich recht vorsichtig und leise. Ich gehe ca. alle fünf Wochen zur Beichte und habe immer etwas zu bekennen, was ich besser anders gemacht hätte. Ja, ich schaffe es nicht immer, mein Leben mit meinen Prinzipien in Einklang zu bringen. Sollte ich deshalb meine Ideale ändern? Ich glaube nicht. Würde man an seinen Idealen nicht auch scheitern, wären sie ja keine Ideale.
Ich meine, es täte uns als Gesellschaft nicht gut, wenn wir nur noch Prediger von laxen Sitten um uns hätten, selbst wenn es dann keine Heuchelei mehr gäbe, weil der rohe Umgang gesellschaftsfähig wäre. Nein, halten wir die Ideale hoch, auch um den Preis, sie manchmal zu verfehlen. Mir sind Heuchler lieber als Menschen, die die Sittenlosigkeit propagieren, weil erstere immerhin um den Wert der (von ihnen mitunter verfehlten) Ideale wissen.
Mich beschäftigt das Thema aus zwei Gründen: Erstens, weil ich inzwischen auf ein Leben von 60 Jahren mit großer Dankbarkeit und auch einiger Selbstkritik zurückschaue. Zweitens, weil ich mich als Weinviertler Bischofsvikar frage, ob der Wein es tatsächlich verdient hat, im Sprichwort für den schlechten Umgang zu stehen. Da sage ich schon lieber: Lasst uns anstoßen auf die guten Sitten, auf unsere Ideale und auf das immer neue Bemühen!
Ihr + Stephan Turnovszky